Widerstand im demokratischen Verfassungsstaat Das Widerstandsrecht des Grundgesetzes

Von Sebastian Ehricht

Die Frage ist so alt wie das soziale Zusammenleben in hierarchischen Strukturen und damit praktisch ebenso alt wie die Menschheit selbst: Wem schulden wir Gehorsam? Wann und unter welchen Umständen endet die Gehorsamspflicht, wann wendet sich diese in ein Widerstandsrecht oder gar eine Widerstandspflicht? Ob in den Königreichen und Republiken der Antike, den Dynastien des Mittelalters, der Ständegesellschaft der Frühen Neuzeit, dem mehr wie auch dem weniger aufgeklärten Absolutismus, den Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts oder dem liberalen, demokratischen Verfassungsstaat der Moderne: Über alle Systemwechsel hinweg blieb die Virulenz dieser Frage erhalten.

Historischer Hintergrund

Eines der ersten literarischen Zeugnisse des Widerstands in der Weltgeschichte findet sich in Sophokles’ Tragödie »Antigone«, in der diese sich mit der Begründung, kein Mensch könne das Recht der Götter begrenzen,[1] weigert, dem Gesetz ihres Onkels Kreon, dem Herrscher von Theben, Folge zu leisten und es zu unterlassen, ihren im Kampf gegen die eigene Heimat gefallenen Bruder zu begraben. Hier wird bereits die Gretchenfrage des Widerstands ersichtlich: Wie weit reichen die Gestaltungsspielräume legitimer Herrschaft; wann ist ein Punkt erreicht, an dem Herrschaft ihren begründeten Anspruch verliert, von den Beherrschten Gehorsam einzufordern? […]

Anmerkungen

[1] Vgl. Sophokles, Antigone, Stuttgart 2007.

[2] Vgl. Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates: Teil I und II, Berlin 2011.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 4-2017 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2018