Grenzerfahrungen Eine Philosophie der Zugehörigkeit

Von Konrad Paul Liessmann

Die Grenze hat gegenwärtig eine schlechte Presse. Der Zeitgeist möchte Grenzen aufheben, überschreiten und hinausschieben, zumindest aber sollen Grenzen, wenn sie schon nicht zu vermeiden sind, durchlässig und unsichtbar sein. Niemand soll ausgegrenzt werden, Integration und Inklusion sind die Worte der Stunde, nur gegen den rechten Rand sollte man sich rechtzeitig abgrenzen. Die moralischen und ideologischen Konnotationen, die den Begriff der Grenze gegenwärtig färben, erschweren allerdings einen klaren Blick auf das vielfältige und ambivalente Phänomen der Grenze.

Was ist eine Grenze? Vorab nicht mehr und nicht weniger als eine wirkliche oder gedachte Linie, durch die sich zwei Dinge voneinander unterscheiden. Wer immer einen Unterschied wahrnimmt, nimmt auch eine Grenze wahr, wer immer einen Unterschied macht, zieht eine Grenze. Philosophisch gesprochen bedeutet dies, dass die Grenze überhaupt die Voraussetzung ist, etwas wahrzunehmen und zu erkennen. […]

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 4-2012| © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2012