Drei Selbstmorde an einem einzigen Tag Vor vierzig Jahren spitzten ganz persönliche Tragödien zu, woran die Neue Linke seinerzeit zu scheitern drohte

Von Wolfgang Kraushaar

Der 3. Oktober 1979 ist ein Mittwoch. Das Wetter ist an jenem Tag, von dem sich seinerzeit gewiss niemand hätte vorstellen können, dass er elf Jahre später vom Bund per Staatsvertrag zu einem Feiertag bestimmt werden würde, mit dem seitdem der »Tag der deutschen Einheit« begangen wird, freundlich und trocken. Dieser 3. Oktober wird ein schwarzer Tag – nicht unbedingt für die Bevölkerung im Allgemeinen, sondern für eine bestimmte politische Strömung, die der Neuen Linken. Innerhalb von nur wenigen Stunden nehmen sich drei politische Aktivisten, die ganz unterschiedliche Wurzeln haben, sich aber unisono als Neomarxisten begreifen, das Leben. Einer in einer bundesdeutschen Hansestadt und zwei andere in einer Metropole, die nicht nur die Hauptstadt eines westlichen Nachbarlandes darstellt, sondern seit 1789 auch wie kaum ein anderer Ort die Revolution als solche repräsentiert. Die suizidalen Akte beginnen am frühen Morgen.

Drei Tode

Kurz vor acht Uhr fährt ein Mann mit seinem Pkw vor das Mehrzweckgebäude der Reformuniversität Bremen, verriegelt die Autotüren, übergießt sich mit Benzin und zündet sich anschließend an. Ein Bediensteter, der durch eine Rauchsäule auf das Geschehen aufmerksam wird, aber nicht ahnt, dass sich in dem Fahrzeug noch jemand befinden könnte, wählt nur kurze Zeit später den Notruf der Feuerwehr. Als der Löschzug eintrifft, steht der Wagen bereits so sehr in Flammen, dass die Feuerwehrleute nicht mehr eingreifen können. Als sich die Rauchschwaden so weit verzogen haben, dass ihre Sicht auf das Wrack zumindest ansatzweise möglich ist, stellen sie durch die infolge der Hitze zerborstenen Scheiben fest, dass der Fahrer beim Ausbruch des Feuers wohl noch am Lenkrad gesessen haben muss: Genau an dieser Stelle sind die Umrisse eines verkohlten Leichnams zu erkennen.

Die Ermittlungen ergeben bald, dass es sich bei der Person um den 44 Jahre alten Juristen und Politikwissenschaftler Prof. Dr. Rolf-Richard Grauhan handelt. Der aus Konstanz stammende und seit 1971 an der gerade erst gegründeten Universität Bremen lehrende Wissenschaftler hinterlässt seine Frau und ihre beiden erwachsenen Kinder. […]

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 3-2019 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2019