Why Does My Heart Feel So Bad? Ein Essay über die Nullerjahre

Von Alexa Hennig von Lange

Ich muss leider sagen: Die Jahre nach der Jahrtausendwende habe ich als nicht sonderlich inspirierend in Erinnerung. Irgendwie war nicht mehr so richtig was Euphorisches los. Vermutlich lag das daran, dass die Menschen bereits vor der Jahrtausendwende ihr gesamtes Pulver verschossen hatten; weil eben zu Silvester 1999 tendenziell mit dem Weltuntergang gerechnet wurde. Jedenfalls erinnere ich mich noch genau, wie ich als geschockte Dreizehnjährige hinten im Auto hockte, mein Vater am Steuer, und wir hörten Radio. Draußen flogen leuchtend gelbe Rapsfelder vorbei. Es wurde Sommer. Die Sonne flirrte durch die blätterbepackten Zweige und in der Sendung wurde darüber geredet, dass es zum Jahrtausendwechsel mit uns und dem gesamten Universum vorbei sein werde. Wie bitte? Papa! Gleich mit dem ganzen Universum? Mit mir? Meinen Händen, meinen Beinen, meinem Körper, mit meinem Leben? Poch. Poch. Poch. Mein Herz! In meinem Kopf fing es gewaltig an zu rauschen.

Das war 1986. Schnell rechnete ich nach, wie alt ich zur Jahrtausendwende sein würde! Poch. Poch. Poch. Siebenundzwanzig Jahre alt? Erst? Heilige Scheiße! Sofort erstellte ich meinen ultimativen Lebensplan – was von mir bis zu diesem alles auslöschenden Weltuntergang erledigt werden musste. Ohne Chance auf eine Abweichung. Bis zur Jahrtausendwende musste ich ein Buch geschrieben haben und Mutter sein. Beides habe ich geschafft. Dank der Radiosendung. Dank des prognostizierten Weltuntergangs. Durch wen eigentlich? Und ich denke, vielen Menschen ging es so wie mir: Sie haben ihr Leben nur bis zur Jahrtausendwende geplant und vollbracht. Danach war für sie Feierabend. Ende Allende. Kein Saft mehr. Keine Kraft mehr. Total ausgepowert. […]

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 3-2017 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017