Von Fliegenbeinzählern und Märchenonkeln Ein Gespräch zwischen Klaus von Beyme und Eckhard Jesse über Trends in der deutschen Politikwissenschaft, alternative Karrierewege und den Wert der Habilitation

Von Klaus von Beyme  /  Eckhard Jesse

Herr von Beyme, Sie haben 2016 Ihre Memoiren publiziert. Wann und wieso haben Sie den Entschluss zum Schreiben des Erinnerungswerkes gefasst?

Klaus von Beyme (KvB): Memoiren helfen auch gegen Altersvergesslichkeit. Ich begann mit achtzig Jahren zu schreiben, die Idee war mir etwa mit 75 gekommen, aber ursprünglich nicht mit der Intention, sie zu veröffentlichen. Der Verlag hat mich dazu ermuntert. Es könnte einige meiner Schüler und Kollegen interessieren.

Herr Jesse, Sie haben die Erinnerungen Klaus von Beymes überaus wohlwollend besprochen …

Eckhard Jesse (EJ): Wer über sich schreibt, steht immer im Verdacht der Selbstbespiegelung. Klaus von Beyme schildert höchst anschaulich sein Leben, verknüpft dieses mit seinem Werk. Das Dienstliche steht in einem angemessenen Verhältnis zum Privaten, Ereignisse überlagern zu Recht Reflexionen. Allerdings nenne ich auch Punkte, die mir weniger gefallen haben, etwa verdeckte Eitelkeit. Der Autor lässt andere Gutes über sich sagen. Und man hätte schon gerne gewusst, wie die dicken Werke nun entstanden sind. Schließlich: Konflikte bringt Klaus von Beyme nur in abgemilderter Form zur Sprache, wenn überhaupt.

Herr von Beyme, Eckhard Jesse hat jüngst in INDES die hiesige Politikwissenschaft gescholten: mangelnde Urteilskraft, »Versozialwissenschaftlichung« des Faches, Vernachlässigung historischer Rahmenbedingungen, Selbstreferenzialität, schwache öffentliche Sichtbarkeit. Steht das Fach so schlecht da?

KvB: Einerseits folge ich diesem Trend als Nebenfachhistoriker, der immer die historischen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen versucht, nur bedingt. Andererseits bin ich milder gegen die »Versozialwissenschaftlichung«, da ich kein Normativist bin wie Eckhard Jesse. Ich sehe das als eine Entwicklung, die nicht aufzuhalten ist und die etwas zu tun hat mit Arbeitsteilung und der Abgrenzung von anderen Fächern. Wir mussten irgendwann soziologischer werden. Was die fehlende öffentliche Sichtbarkeit des Faches angeht, stimme ich Eckhard Jesse hingegen zu. Einige – wie Jürgen W. Falter oder Karl-Rudolf Korte – spielen zwar eine gewisse Rolle, aber insgesamt sind wir zu wenig präsent. Wir müssen auch stärker politikberatend tätig werden. Da habe ich selber zu wenig getan, was wohl daran liegt, dass wir recht wenig erreichen können. Fritz Scharpf, der in dieser Hinsicht sehr aktiv war, hat das mehrfach beklagt. Da geht es uns nicht anders als den Soziologen, die es allerdings schlechter als wir schaffen, größere Wissensbestände zusammenzufassen, weil sie stärker zersplittert sind.

Was können wir von der Politikwissenschaft im Ausland mit Blick auf die »Einmischung in die Tagespolitik« lernen?

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 3-2016 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2016