Partei der Sünder, Partei der Bekehrten Konversionserzählungen im amerikanischen Konservativismus

Von Torben Lütjen

Angesichts des surrealen politischen Paralleluniversums, das sich neben uns auftut, seitdem Donald Trump die Bühne der, nun ja, Politik, betreten hat, kann man leicht vergessen, dass er vielleicht nicht einmal der merkwürdigste unter vielen merkwürdigen Kandidaten im republikanischen Vorwahlkampf 2015/2016 gewesen ist.

Da war schließlich auch noch der Neurochirurg Ben Carson. Eine Zeit lang, im Herbst 2015, schien er Donald Trump in den Umfragen gar den Rang abzulaufen. Der tief gläubige Afro-Amerikaner Carson, Mitglied einer adventistischen Religionsgemeinschaft, war zwar in seinem Habitus von Trump denkbar verschieden: Carson sprach sanft, lächelte stets versonnen, wirkte gar ein wenig entrückt. Doch was er zu sagen hatte, das hielt mindestens die eine Hälfte des Landes für pathologischen Irrsinn. Niemand tauchte so tief im Mariannengraben der Gedankenwelt der paranoiden amerikanischen Rechten wie Carson und förderte von dort so viele seltsame Schätze zutage. Nicht nur behauptete er, Obamacare sei das Schlimmste, was der Nation seit der Sklaverei widerfahren sei; auch rechnete er damit, dass die Regierung bald unter einem Vorwand das Kriegsrecht über das Land verhängen werde. Und nicht zuletzt zeigte er sich überzeugt, dass der Holocaust hätte verhindert werden können, wenn die Waffengesetze in Deutschland weniger streng gewesen wären und die Juden sich hätten bewaffnen können.

Seinen Aufstieg hat all das lange Zeit nicht bremsen können. Und was auch immer an Kritik auf Carson einprasselte: Nichts konnte ihm seinen Gleichmut nehmen, stets wirkte er nachsichtig gegenüber all jenen, die es nun einmal nicht besser wussten und nicht im Besitz so intimer Informationen waren wie er. Bis zum November 2015. Da verlor Carson schließlich doch noch die Fassung. […]

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 3-2016 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2016