Staatlichkeit und die Einhegung des Krieges Warum europäische Staaten in Europa andere Kriege führten als außerhalb

Von Dieter Langewiesche

Kriege wurden in Europa im 19. Jahrhundert seltener und die Kriegführung »zivilisierter«. Wo europäische Staaten als Kolonialmächte auftraten, war die Situation hingegen gänzlich anders. Koloniale Imperien ließen sich allein mit Kriegen erschaffen. In Europa setzten die Staaten im Laufe des 19. Jahrhunderts als Leitbild den gehegten Krieg durch, der duellartig zwischen staatlichen Armeen oder Flotten entschieden wurde; außerhalb Europas führten sie ungehegte Kriege, deren Zerstörungsgewalt sich stets auch gegen die Zivilbevölkerung richtete. Kurzum: Imperien waren Kriegsmächte. Warum war das so? Um diese Frage zu erörtern, wird zunächst der europäische Sonderweg des gehegten Krieges skizziert, um anschließend den Blick auf die kolonialen Räume zu richten.[1]

Der Sonderweg des Krieges in Europa

Die Französische Revolution und die napoleonische Ära markieren eine Zäsur in der Geschichte des Krieges in Europa. Die Zeit des Kabinettskrieges war vorbei – die Revolutionäre hatten den Krieg zur Aufgabe der gesamten Nation erklärt. »Im achtzehnten Jahrhundert […] war der Krieg noch eine bloße Angelegenheit des Kabinetts, an welchem das Volk nur als blindes Instrument teilnahm; im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts standen die beiderseitigen Völker in der Wageschale.« So hat es Carl von Clausewitz in seinem berühmten Werk »Vom Kriege« beschrieben. Diesen neuen Volks- oder Nationalkrieg habe der »Kriegsgott selbst«[2] hervorgebracht, wie Clausewitz bewundernd Napoleon nannte. Er verwandelte die revolutionäre levée en masse, die den »Bürgersoldaten« zu den Waffen rief, in Zwangsaushebungen, mit denen Frankreich, seine Verbündeten und die Eroberten die riesigen Armeen Napoleons zu füllen hatten. Nichts machte die napoleonische Herrschaft in der europäischen Bevölkerung so verhasst wie diese Konskriptionen; doch waren sie zugleich ein Schritt in Richtung politischer Gleichheit durch eine allgemeine Wehrpflicht für Männer. Die gesamte Bevölkerung im Kriegsfall zu mobilisieren – wehrtaugliche Männer als Soldaten, alle anderen und die Frauen als Helfer an der »Heimatfront« –, indes aber den Krieg als Kampf zwischen regulären Armeen in staatlicher Regie zu führen: Darauf zielte das neue Konzept des Volks- oder Nationalkrieges, wie es sich im 19. Jahrhundert durchsetzte. Ein preußischer Offizier hat es 1829 präzise formuliert: »Wir verstehen unter Volkskrieg einen Kampf, in dem die Energie und Kraft aller Bürger eines Staats sich mit entgegenkommender Bereitwilligkeit in der durch das Staats-Oberhaupt vorgezeichneten Richtung bewegt, und die Mehrzahl zwischen Selbstaufopferung oder Rettung des Vaterlandes nichtunschlüssig bleibt.«[3] […]

Anmerkungen

[1] Ausführlich dazu Dieter Langewiesche, Der gewaltsame Lehrer. Europas Kriege in der Moderne, München 2019; darin wird die umfangreiche Fachliteratur genannt.

[2] Carl von Clausewitz, Vom Kriege (1830–32), Frankfurt a.M. 1980, S. 648.

[3] Heinrich von Brandt, Handbuch für den ersten Unterricht in der höheren Kriegskunst. Zum Gebrauch in Militair-Schulen und für den Selbstunterricht, Berlin 1829, S. 322.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 2-2019 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2019