Nordirland und der Brexit Zur Gefahr einer Konflikteskalation
Konfliktentstehung und Konfliktverlauf
Der Blick auf zahlreiche politische und wissenschaftliche Äußerungen zum Nordirland-Konflikt offenbart immer wieder die Wahrnehmung einer sich über Jahrhunderte hinziehenden Kolonialisierung Irlands durch England bzw. des Vereinigten Königreichs von England, Schottland und Wales. Danach habe sich mit der irischen Teil-Unabhängigkeit von 1921 quasi eine erste postkoloniale Situation entwickelt. Die langanhaltende strukturelle Diskriminierung einer gälisch-katholischen Mehrheit durch eine protestantisch-britische Minderheit habe wenigstens im Süden der irischen Insel mit diesem Anglo-Irish Treaty ein Ende gefunden. Nur die durch das Vereinigte Königreich weiter beherrschten sechs nördlichen Provinzen, mit einer protestantisch-britischen Mehrheitsbevölkerung, seien darüber hinaus eine Bastion katholisch-irischer Unterdrückung geblieben. Der insbesondere durch die Irisch-Republikanische Armee (IRA) militärisch betriebene Widerstand habe, nach Jahrzehnten erbitterter Auseinandersetzung, Ende des 20. Jahrhunderts eine Teilung der politischen Macht in Nordirland bewirkt (festgelegt im sogenannten Karfreitagsabkommen von 1998).
Dass sich eine solche Interpretation vor allem in irisch-nationalistischen Kreisen und Parteien durchsetzen konnte und bis heute manche Perzeption bestimmt, verwundert nicht. Die Seite der britisch-loyalistischen Protestanten Nordirlands hat geradezu klappsymmetrisch eine entsprechende Realitätswahrnehmung entwickelt. Danach sei es vor allen Dingen die Gewalttätigkeit der IRA, die in Nordirland zu einem verheerenden hybriden Bürgerkrieg geführt habe, der zwischen 1969 und 1998 ca. 3.500 Menschen das Leben kostete, eine weit höher liegende Zahl verwundete und versehrte und erhebliche volkswirtschaftliche Schäden verursachte. Somit ist auch nicht verwunderlich, dass die im Nordirland-Konflikt beteiligten gesellschaftlichen Gruppen solche wechselseitigen Kausalitätsannahmen und Schuldvorwürfe erhoben. […]
Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 2-2019 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2019