Politischer Höhepunkt einer politikwissenschaftlichen Karriere Klaus von Beyme und die Studentenrevolte 1969

Von Isabelle-Christine Panreck

Die Revolution! Protest im »Ländle«

Das Jahr 1968 hat sich tief in die Historiographie der Bundesrepublik Deutsch­land eingegraben. Die Zahl der Artikel in den Feuilletons der Zeitungen und Fachzeitschriften zum »Jubiläum« 1968 ist Legion.[1] Auffällig ist dabei die Konzentration auf die Epizentren des Protests, etwa Berlin oder Frank­furt. Kurzum: Ist der Verlauf des Aufbegehrens insbesondere in jenen Städ­ten bereits seit Jahren Gegenstand der Forschung,[2] nimmt selbige über die Provinz erst langsam an Fahrt auf.[3] Wer den Blick über die Tübinger Unru­hen schweifen lässt, stößt auf die zentrale Rolle der Sozialwissenschaften als Ort des Streits. Zunächst rückte dabei die Soziologie – und mit ihr Friedrich Tenbruck – ins Zentrum der Entrüstung. Wenig später mussten sich auch die einzigen politikwissenschaftlichen Ordinarien Theodor Eschenburg und Klaus von Beyme den studentischen Forderungen stellen. Besonders letztge­nannter geriet unter Beschuss – im wahrsten Sinne des Wortes mit Viktualien. Warum rieben sich die »Revoluzzer« besonders am jungen Beyme – damals gerade in seinen 30ern?

Wer über den studentischen Protest schreibt, kommt nicht umhin, den ge­sellschaftlichen Kontext sowie die Ereignisse an den Universitäten zu beach­ten. Auf eine kurze Erläuterung der damaligen Umstände an der Universität Tübingen folgt die Analyse der Faktoren für die Sichtbarkeit Beymes, wo­bei besonderes Augenmerk dem (partei-)politischen Engagement des frisch ernannten Hochschullehrers zukommt. Im Mittelpunkt steht der Zeitraum 1968/69 und damit die Phase der breiten Mobilisierung, bevor sich die Stu­dentenbewegung Anfang der 1970er zersplitterte und (in Teilen) radikalisierte. Als Quellen dienen zeitgenössische Zeitungsdebatten, Protokolle, Briefwechsel und Memoiren ebenso wie Zeitzeugeninterviews. Der Ausblick erörtert Be­ymes Übergang an die Universität Heidelberg, dessen Turbulenzen durchaus (auch) auf das politische Engagement Beymes zurückzuführen sind.[...]

 

[1] Ein Überblick findet sich bei Eckhard Jesse, Sammelrezension: 1968–50 Jahre danach, in: Jahr­buch Extremismus & Demo­kratie, Jg. 31 (2019). i. E. Bereits im Jahr 2009 deutete sich die Flut an Texten an, vgl. Kristin Wesemann, Im Westen nichts Neues: Die 1968er-Forschung entdeckt Osteuropa, in: Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Jg. 21 (2009), S. 259–281.

[2] Vgl. statt vieler Martin Wildermuth, Reform und Konflikt am Otto-Suhr-Institut 1968 bis 1972, in: Gerhard Göhler u. Bodo Zeuner (Hg.), Kontinuitäten und Brüche in der deutschen Politikwissenschaft, Baden-Baden 1991, S. 199–220.

[3] Vgl. etwa Hans-Gerd Schmidt, Die 68er-Bewegung in der Pro­vinz. Vom Rock’n’Roll und Beat bis zur Gründung der Grünen in Lippe, Detmold 2013; Thomas Großbölting, 1968 in Westfalen. Akteure, Formen und Nachwir­kungen einer Protestbewegung, Münster 2018; ferner zu Tübin­gen: Bernd Jürgen Warneken, Mein 68 begann 65. Eine Tübin­ger Retrospektive, Tübingen 2018.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 4-2019 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2019