Störenfriede in der Politik Vorschlag zu einer Typologie

Von Dieter Thomä

Einer der berühmtesten Werbespots aller Zeiten ist Apples »Think Different«-Kampagne von 1997. Gefeiert werden darin die »Verrückten, Außenseiter, Rebellen und Störenfriede«, die »denken, sie könnten die Welt verändern«, und dies dann tatsächlich schaffen. Als Beispiele werden u.a. Thomas Alva Edison, Albert Einstein, Martin Luther King und Bob Dylan angeführt. Die ehrwürdige Vorgeschichte dieses Werbespots reicht zurück zu John Stuart Mill, der die »exzentrisch[en]« Menschen als »Salz der Erde« feierte, zu Henry David Thoreau, dem Vorkämpfer des »zivilen Ungehorsams«, Fürsprecher der »Extravaganz« und Verächter der »Hirnfäule«, sowie zu Georg Christoph Lichtenberg, der es für »fast unmöglich« hielt, »die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu sengen«.[1] Und zur Nachgeschichte der Apple-Werbung gehören die allgegenwärtigen Appelle, Disruption oder Kreativität zu fördern.[2]

Im Phänomen des Störenfrieds verbirgt sich tatsächlich ein Lebensthema der menschlichen – zumal der modernen, freiheitlichen, dynamischen –
Gesellschaft. Doch wird man diesem Thema nur gerecht, wenn man den Silicon-Valley-Kitsch beiseitelässt. Dann merkt man, dass Störenfriede sehr unterschiedliche Gesichter zeigen, und steht vor der lohnenden, paradox anmutenden Aufgabe, sich Überblick über Strategien der Störung, der Abweichung und des Widerstands zu verschaffen. […]

Anmerkungen

[1] John Stuart Mill, Über die Freiheit, Stuttgart 1988, S. 89 u. S. 93; Henry David Thoreau, Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat und andere Essays, Zürich 1973, S. 11 ff.; Ders., Walden oder Leben in den Wäldern, Zürich 1971, S. 315 f.; Georg Christoph Lichtenberg, Schriften und Briefe, Bd. 2: Sudelbücher II, Materialhefte, Tagebücher (hg. von Wolfgang Promies), München 1971, S. 135.

[2] Zur Kontroverse um Disruption vgl. Clayton M. Christensen u. Michael Overdorf, Meeting the Challenge of Disruptive Change, in: Harvard Business Review, H. März–April/2000, S. 66–76; Jill Lepore, The Disruption Machine, in: New Yorker, 23.06.2014, URL: http://www.newyorker.com/magazine/2014/06/23/the-disruption-machine [eingesehen am 31.01.2016]. Zur Kritik der Kreativität vgl. Dieter Thomä,
Ästhetisierung, in: Volker Steenblock (Hg.), Kolleg Praktische Philosophie, Bd. 3: Zeitdiagnose, Stuttgart 2008, S. 133–166, hier S. 162 ff.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 4-2017 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2018