Wann, wenn nicht jetzt? Warum es oft schwerfällt, das Gute zu tun

Von Hilal Sezgin

Am Abend des 20. Januar 2017 stand ich in einem Lüneburger Supermarkt in einer Kassenschlange. Vor mir Leute, die ich nicht kannte, hinter mir Leute, die ich nicht kannte. Alle wollten ihr Abendbrot einkaufen und dann heim. Plötzlich hob der Wartende hinter mir sein linkes Handgelenk, zog die Jacke zurück und schaute darauf: Es war kurz nach 18 Uhr. »Ob er wohl schon die Atomcodes getwittert hat?« Alle lachten. Abendbrot hin oder her: Jede*r von uns war zumindest mit einem Teil der Gedanken auch in Washington gewesen, wo gerade Trump als Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt worden war.

»Vor Trump« und »seit Trump« lautet daher eine mögliche Einteilung der neueren politischen Zeit. Natürlich grassierten in der politischen Klasse auch vorher schon Dummheit, Korruption und Hoffnungslosigkeit; aber sie waren wenigstens nicht offiziell in den Stand leitender Prinzipien erhoben worden. Als jemand, die viele Vorträge zum Thema Tierrechte hält, hatte ich zeitweise das unangenehme Gefühl, man habe mir mein gesamtes Instrumentarium aus der Hand geschlagen. Jetzt mussten wir der fleischessenden Mehrheit nicht mehr nur plausibel machen, welche Vernunftgründe dagegensprachen, andere empfindungsfähige Wirbeltiere einzusperren, zu quälen und umzubringen. Nein, es schien, als müssten wir erst einmal über die Grundlagen diskutieren, warum das überhaupt so wichtig sein sollte: dass man sein Handeln an Kriterien des Vernünftigen orientiert. [...]

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 1-2018 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2018