Der rasende Theoretiker Im Taxi mit Slavoj Žižek

Von Oliver Nachtwey

Der Teufel ist die Stille, die Denk- und Sprechpause. Dieser Teufel scheint hinter Slavoj Žižek her zu sein, so schnell spricht er. Wir sitzen zusammen im Taxi, und er hat die Phase des gegenseitigen Kennenlernens gleich übersprungen. Er quasselt, nein philosophiert, räsoniert unmittelbar drauf los. Fortwährend schwingt sein Kopf zur Seite wie der Wagen einer manuellen Schreibmaschine. In einer endlosen Verkettung von Übersprunghandlungen fasst er sich nacheinander ins Gesicht, an den Kopf, die Ohren, wischt sich über den Mund (erst mit der einen, dann mit der anderen Hand), streicht sich über die Haare seines Ponys. Wäre Žižek ein Jugendlicher, wäre die Diagnose klar: ADHS. Aber neben mir sitzt kein verhaltensgestörter Teenager, sondern der wohl erste globale Philosophiepopstar. Er hat ein einzigartiges Theorie-Universum geschaffen aus Marx, Hegel, Cultural Studies, Filmtheorie, radikaler französischer Philosophie und der Psychoanalyse Jacques Lacans. Es gibt Fan-Artikel, eine wissenschaftliche Zeitschrift der Žižek-Studien; für seine Fans ist er der »Elvis der Kulturtheorie«, für seine Gegner »der gefährlichste lebende Philosoph des Westens«. Kürzlich berichteten einige angelsächsische Boulevardmedien, dass Žižek jetzt mit Lady Gaga ausgehe. Es war nur ein Gerücht, aber ganz unplausibel erschien es nicht. Schließlich war er bis vor kurzem noch mit dem dreißig Jahre jüngeren argentinischen Unterwäschemodel Analia Hounie verheiratet.

Während der Fahrt im Taxi durch Berlin analysiert Žižek in einem Parforceritt verschiedene Aspekte der Weltpolitik, die Lage im arabischen Raum und den Zustand der Linken, plaudert über Kino und, als wir am Brandenburger Tor vorbeikommen, Komponisten klassischer Musik […]

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 0-2011 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2011