Worte für eine geschlossene Gesellschaft Die Rolle von Gefangenenzeitungen am Beispiel von HaftLeben

Von Aaron Bielejewski

Gefängnisse sind oft von Undurchsichtigkeit geprägt, als eine Art Konzept, über das viel gesprochen, aber selten umfassend erlebt oder verstanden wird – ein Bereich, in dem die Geschichten der Inhaftierung verschwommen bleiben. In diesem Kontext bieten Gefängniszeitungen als ein kleines Fenster einen einzigartigen und nuancierten Einblick in das komplexe Gefüge des Lebens hinter Gittern. Gefangenenzeitungen[1] haben eine lange Geschichte, indes fehlt es ihnen hierzulande oft an kultureller Sichtbarkeit. In den USA und im Vereinigten Königreich sind sie zu einem zentralen Bestandteil des wachsenden Bereichs der »convict criminology« geworden. In Deutschland hingegen, wo die kriminologische Tradition eher in der Rechtswissenschaft als in den Sozialwissenschaften oder in der interpretativen empirischen Erforschung menschlicher Erfahrungen begründet ist, haben Inhaftierte viel weniger Gelegenheit, sich in der wissenschaftlichen Literatur zu präsentieren.[2]  Dies bedeutet jedoch nicht, dass ihre Stimmen gänzlich ungehört blieben: Einige therapeutische Angebote  und Freizeitaktivitäten in deutschen Justizvollzugsanstalten (JVA) sind durchaus der Öffentlichkeit zugänglich, wenn auch nicht explizit für sie bestimmt. Dazu gehören Kunst in verschiedenen Formen, Musik, Theater – und Gefangenenjournalismus.
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[1] Im Folgenden wird ausschließlich der Begriff »Zeitung« verwendet, auch wenn die meisten von Gefangenen geschaffenen Periodika eher als Zeitschriften oder Magazine bezeichnet werden könnten. Zeitung ist die auch Selbstbezeichnung von HaftLeben aus der Justizvollzugsanstalt Chemnitz, die als Primärquelle dient, spiegelt aber auch den journalistischen Charakter zumindest einiger Bemühungen der Redaktion wider. Ein Großteil des Inhalts von Gefängniszeitungen besteht jedoch der Form nach aus persönlichen Reflexionen, Gedichten und eher »expressiven« Äußerungen sowie Leserbriefen, die weniger typisch für lokale oder regionale Zeitungen sind: Gefangenenzeitungen sollten als eine separate und einzigartige Medienform betrachtet werden, die durch die Bedingungen, mit denen die Redakteur:innen in den Gefängnissen konfrontiert sind, begrenzt und somit geprägt ist.

[2] Vgl. Graebsch, Christine & Knop, Julian, Über oder mit »Verurteilten« sprechen? – Möglichkeiten und Grenzen einer »Convict Criminology« in Deutschland, in: Kriminologisches Journal, H. 55/2023, S. 158–166.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H.4-2023 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2024