Wie der Unterschied gemacht wird Überlegungen zur transformativen Kraft von Schlüsselentscheidungen am Beispiel des Selbstbestimmungsgesetzes
Am Morgen des 01.11.2024, jenem Tag, an dem das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft treten sollte, erschien auf dem Medienportal NiUS ein Kommentar, in dem sieben Gründe aufgezählt werden, »warum das Selbstbestimmungsgesetz den Missbrauch von Frauen und Kindern normalisiert.«[1] Der Meinungsbeitrag beginnt mit der Einschätzung, dass das Inkrafttreten des Gesetzes gleichsam einen »Rückfall hinter die Moderne« bedeute, weil Schutzräume für Frauen negiert würden. Die Entscheidung seitens des Parlaments, ein Gesetz zu verabschieden, führt in dieser Interpretation zu einer Zäsur, die ein davor (die Moderne) von einem danach (der Rückfall) scheidet. Eine Woche später erschien in der taz-Kolumne Änder Studies der Kommentar »Kein Abschluss, sondern ein Anfang«, in dem konstatiert wird: »In meinem Umfeld atmen gerade ganz viele auf. Nicht, weil sich ihre Identität verändert, sondern weil ihr Leben ab jetzt stressfreier wird.«[2] Wieder eine Zäsur, diesmal nicht in einer regredierenden Moderne, sondern im Abbau einer Diskriminierung, die darin bestand, permanent seine Identität verhandeln und durch medizinische Gutachten beweisen zu müssen.
Beide Narrative markieren den Pivot einer Schlüsselentscheidung, die zum Ereignis geworden ist. Zentral ist dabei die Beobachtung einer Zäsur, eines Zeitschnitts, der ein Davor und ein Danach markiert. Im Folgenden soll die Beobachtung des Zeitschnitts Ausgangspunkt sein, einen Begriff der Schlüsselentscheidung zu entwickeln und dabei zu eruieren, wie die Entscheidung einen dauerhaften Unterschied macht, also eine Transformation bewirkt. Diese Transformation verkompliziert sich an der Temporalität der Schlüsselentscheidung genauso wie an ihren imaginären und kodifizierten Effekten.
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[2] Vgl. Elya Conrad, Kein Abschluss, sondern ein Anfang, 07.11.2024, in: taz.de, tinyurl.com/indes251 l2.
Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 1-2025 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2025