Weimarer Reflexe und Reflexionen Kein Abschied von der ersten deutschen Demokratie - oder: Was Weimar uns heute lehrt
Weimar wirke wie zu einem Reflex reduziert, der stets als Warnsignal ausgelöst werde, sobald die Demokratie kriselt oder die AfD 18 Prozent erlangt (und sei es nur in Umfragen), das beklagte Hedwig Richter während des Frühsommers 2023 in einem Debattenbeitrag über den »falschen Weimar-Reflex«.[1] Die eilfertige Rede von »Weimarer Verhältnissen« ist in der Tat kritikwürdig, vor allem dann, wenn sie zur Dramatisierung und Hysterisierung einer ohnehin schon hitzigen Debatte dient. Man darf den allzu kurzatmigen Weimar-Ruf auch als unbedacht und womöglich sogar als schädlich erachten, weil damit von nunmehr ganz andersartigen Problemen als jenen während der Zwischenkriegszeit abgelenkt werden mag. In Richters Augen werden alte Schlachten einer so nicht mehr existenten Demokratiekrise nachgestellt, statt die gänzlich gewandelte Lage in der Bundesrepublik als einer rechtsstaatlich und sozial gefestigten Demokratie ein für allemal zur Kenntnis zu nehmen. Solches Weimarer Wetterleuchten würde zudem vom zentralen Problemkomplex unserer Tage ablenken, nämlich den existenziellen Herausforderungen der Klimakrise. »Statt im Heizungskeller über Weimar und die Fragilität der deutschen Seele zu weinen«, spitzt Richter ihr Argument mit einer Mischung aus Ironie und Polemik abschließend zu, »sollten die Menschen lieber aufs Dach Klettern und Solarpaneele installieren.«
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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H.1-2-2024 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2024