»Weil man in einem Zustand der Entrechtung nicht leben kann« Ein Gespräch mit Grit Straßenberger über Öffentlichkeit, Eliten, Parias, Hannah Arendt und »finstere Zeiten«

Von Grit Straßenberger

INDES: Derzeit werden angesichts der Wahlerfolge rechtsextremer Parteien oft Parallelen zwischen unserer heutigen Situation und der präfaschistischen Zwischenkriegszeit der Weimarer Republik gezogen. Erachten Sie das zur Analyse gegenwärtiger Probleme für sinnvoll? Oder kann uns diese historische Parallelisierung vielleicht sogar im Weg stehen?

 

Grit Straßenberger:

Grundsätzlich lohnt es sich immer, einen Blick in die Geschichte zu werfen und – mit Machiavelli – das, was gut funktioniert hat, anzuerkennen, zu übernehmen und aus Fehlern zu lernen, sie also nicht zu wiederholen. Insofern kann man durchaus historische Vergleiche ziehen, muss sich aber immer bewusst sein, dass es sehr unterschiedliche Zeitkontexte mit unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Bedingungen sind.

Einige vermeintliche Parallelen zu Weimar kann man finden. Aber es lohnt sich auch zu fragen: Wo liegen die Unterschiede? Das ist die besondere Perspektive der Politischen Theorie und Ideengeschichte: Man lernt, wie diese Zeit und die in ihr stattgefundenen Prozesse der Entfremdung ideengeschichtlich bearbeitet wurden. Können wir etwas lernen aus diesem reflektierten Umgang mit den Krisendiagnosen und daraus entwickelten Therapievorschlägen? Das, was seinerzeit in Weimar als mögliche Lösung vorgeschlagen wurde, ist keine Lösung für unsere Zeit, zeigt aber einen bestimmten Modus der Reflexion, der uns helfen kann.

 

Ist da die Politische Ideengeschichte besonders gefragt, weil sie sich mit Texten auseinandersetzt, die in einem bestimmten historischen Kontext entstanden sind, und gleichzeitig versucht, diese Lehren auf unsere Gegenwart zu beziehen?

 

Ja, auf jeden Fall. Es ist gewissermaßen Werbung für die Politische Theorie-Ideengeschichte. Gerade in dieser Bindestrichkombination, weil einerseits Ideengeschichte ja heißt, dass wir das Denken in einer konkreten Zeit verorten, nicht im luftleeren Raum wie in eher philosophischen Gipfelgesprächen, sondern mit Blick auf die konkreten historisch-politischen Umstände. Wie haben politische Theoretiker:innen, aber auch Politikwissenschaftler:innen, Soziolog:innen und Staatsrechtler:innen auf diese Umstände reagiert? Wie haben sie diese Zeit wahrgenommen und welche Empfehlungen haben sie abgegeben? Diesen spezifischen Blick hat nur eine ideengeschichtlich vorgehende Politische Theorie. Und dann wäre es schön, wenn es auch immer einen Link zur Gegenwart gäbe: Was können wir aus dieser Reflexion mitnehmen für die Analyse gegenwärtiger politischer Probleme und was können wir daraus lernen über die Art des Umgangs mit solchen Krisendiagnosen?

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H.1-2-2024 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2024