Schlüsselentscheidung zum Nichtstun Frankreich und Deutschland während des Genozids an den Tutsi Ruandas (1994)
Das fehlende Eingreifen, schlimmer noch: die Verstrickung Deutschlands und Frankreichs in das Erstarken der terroristischen Hutu-Miliz in Ruanda sind, so lautet die These der folgenden Analysen, im Nachgang der genozidalen Ära nur unzureichend aufgearbeitet worden. Dabei hatten das Deutsche Kaiserreich als erste Kolonialmacht und später Frankreich als Unterstützer des Regimes von Juvénal Habyarimana in Ruanda zu unterschiedlichen Zeiten bleibende Spuren hinterlassen. Als ab dem 6. April 1994 die »effizientesten« Tötungen der Minderheit der Tutsi in Ruanda, die organisierten, mit modernen Waffen – Granaten und Schusswaffen – verübten Massaker begannen, erwies sich die internationale Gemeinschaft als unfähig, darin den Beginn eines Genozids zu erkennen. Dabei kam die Gewalt keineswegs plötzlich.[1] Vielmehr handelte es sich um die absehbare Konsequenz einer sich allmählich beschleunigenden Eskalation, vor der Vertreter:innen humanitärer Organisationen, einzelne Diplomat:innen, Militärs und nicht zuletzt Ruanda-Expert:innen (unter ihnen Historiker:innen) schon lange gewarnt hatten.[2]
Die Friedensverhandlungen im tansanischen Arusha, die ab 1990 den ruandischen Bürgerkrieg stoppen sollten, in dem sich die »reguläre« Armee, nämlich die FAR, und die Exilarmee der FPR gegenüberstanden, zeigten ebenfalls, dass die gefährlichen Spannungen keineswegs unbemerkt geblieben waren. Es handelte sich bei der Vorbereitung der totalen Auslöschung um alles andere als ein Geheimnis: Die Gewalt wurde vor aller Augen geplant und die nötigen Waffen gekauft; das Hass-Radio spielte bei der propagandistischen »Einstimmung« eine entscheidende Rolle;[3] und die Massaker selbst fanden auf öffentlichen Plätzen, sprich wortwörtlich vor den Augen der Weltöffentlichkeit statt.[4]
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[3] Zu den Invektiven, die hier durch die Medien verbreitet und in die Alltagssprache eingespeist wurden, vgl. Anne D. Peiter, Invektiven im Genozid. Zu Zeugnissen von überlebenden Tutsi, in: Simon Meier-Vieracker u. a. (Hg.), Invective Discourse, Berlin & Boston 2023, S. 149–175.
[4] Die folgende, auf kenntnisreiche Weise kommentierte Materialsammlung ist hier unverzichtbar, und zwar nicht zuletzt, weil sie ins Französische übertragen wurde, was für alle Forscher:innen, die das Kinyarwanda nicht beherrschen, eine wichtige Hilfe ist: Jean-Pierre Chrétien (Hg.), Rwanda. Les médias du génocide, Paris 2002.
Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 1-2025 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2025