Schlafgänger, Gute Stube und Frankfurter Küche Wohnkulturen zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik[1]

Von Adelheid von Saldern

»Wir betreten eine der berüchtigten Mietskasernen, deren im rheinisch-westfälische Industriegebiet so viele vorhanden sind. Das ganze Haus besteht durchweg aus Abteilungen von zwei bis drei Zimmern. Fast vierzig bis fünfzig Prozent aller Arbeiterwohnungen bestehen aus zwei Zimmern, werden bewohnt von Familien, die sechs bis zehn Köpfe stark sind und zum Überfluss noch zwei bis drei Kostgänger beherbergen. In einem Schlafraume mit zwei Bettstellen, der selten gelüftet und gereinigt wird und dessen Bettzeug stinkenden Lumpen ähnelt, kampieren oft bis 10 Personen. Vier Kinder in einem Bett, zwei am Kopf-, zwei am Fußende, ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht! Wie viele Schlafräume gibt es außerdem, wo man auf Dielen, auf ausgebreiteten Strohsäcken schläft!«[1] Ein Blick zurück gerät leicht zum »Blick zurück im Zorn«, wenn man sich die Wohnverhältnisse gerade der Arbeiter um die Jahrhundertwende vergegenwärtigt, wie sie in vorstehendem Zitat aus einem Bericht von 1908 geschildert werden. In den Jahren um die Jahrhundertwende, in der Zeit des Deutschen Kaiserreiches, war das Wohnen noch überwiegend klassen- und schichtenspezifisch geprägt. […]

Anmerkungen:

[1] Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um einen gekürzten und modifizierten Wiederabdruck des Sammelbandbeitrages »Daheim an meinem Herd …«. Die Kultur des Wohnens, in: August Nitschke u. a. (Hg.), Jahrhundertwende. Der Aufbruch in die Moderne, Reinbek 1990, S. 44–60, © 1990, Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg.
[2] Zitiert nach: Victor Noack, Kulturschande. Die Wohnungsnot als Sexualproblem, Berlin 1929, S. 9.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. -2020 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2020