Politik der Debatte Zum parlamentarischen Denk- und Handlungsstil

Von Kari Palonen

Für das Verständnis der parlamentarischen Politik ist entscheidend, ob dem Resultat der Abstimmung oder der ihr vorangehenden Debatte die höhere Bedeutung beigemessen wird. Mit diesem Beitrag will ich die Eigenart der parlamentarischen Politik als kontingentes und umstrittenes Handeln par excellence thematisieren und ihre heutige Bedeutung kurz diskutieren.

Max Weber unterschied bekanntlich zwischen Arbeits- und Redeparlamenten.[1] Das Westminster-Parlament war für Weber beides – natürlich ein Redeparlament, aber wegen der detaillierten Ausschussbehandlung mit Verwaltungskontrolle auch ein Arbeitsparlament. Der kaiserliche Reichstag hingegen stellte laut Weber keines von beidem dar – weder ein Arbeits- noch ein debattierendes Redeparlament. Der Deutsche Bundestag schließlich gilt als eher dem Ideal des Arbeitsparlaments verpflichtet. Allein die Anzahl der Wortmeldungen während der Plenardebatten in Westminster übersteigt jene im Bundestag um ein Mehrfaches.[2] Hervorzuheben ist außerdem, dass in Westminster das Ablesen vorgefertigter Manuskripte prinzipiell verboten ist und die Reden freier und spontaner als im Deutschen Bundestag gehalten werden. Diese Einordnung des Deutschen Bundestags möchte ich relativieren und hierzu Debatten- statt Redeparlament als Idealtypus benutzen.[3][...]

[1] Vgl. Max Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland [1918], in: Max-Weber-Studienausgabe (MWS) I/15, hg.v. Wolfgang J. Mommsen & Gangolf Hübinger, Tübingen 1984, S.237 f.
[2] Vgl. Sven-Oliver Proksch & Jonathan B. Slapin, The Politics of Parliamentary Debate, Cambridge 2015, S.101 ff.
[3] Vgl. Kari Palonen, Was Max Weber Wrong about Westminster?, in: History of Political Thought, H3/2014, S. 519-537, hier S. 535 ff.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H.  1-2023 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2023