Moralisierung im Überfluss Zur Semantik des »Weniger« aus moralsoziologischer Perspektive

Von Tobias Schädel

Gegenwärtige gesellschafts- und geopolitische sowie ökologische Krisenerlebnisse unterliegen Sachzwängen, die oftmals auf ein erhöhtes, gesamtgesellschaftlich zu organisierendes Sparsamkeitsgebot drängen. Das einschlägigste Beispiel hierfür ist sicherlich die Maßgabe zur Reduzierung der globalen CO2-Emissionen zwecks wirkungsvoller Eindämmung des anthropogenen Klimawandels. Das hierin enthaltene Sparsamkeitsgebot – vorausgesetzt, dass es als solches auch akzeptiert und formuliert wird – drängt zu politischen Entscheidungen, die es umzusetzen vermögen. Hieran schließen sofort Streitfragen an, deren Austragung logisch an die Auffächerung der nationalen und supranationalen Parteilandschaften und die ihnen zugrundeliegenden Weltanschauungen andockt. Setzt man auf ökonomische Anreize und überlässt alles Weitere den Mechanismen des Marktes, oder muss man, unter Umständen bis hinunter zur Ebene individueller Lebensführung, stärker eingreifen und mitunter auch konkrete Verbote aussprechen? Die politisch definierte Knappheit verfügbarer Emissionen übersetzt sich dann in die öffentlichkeitswirksam bespielbare Semantik des Weniger: Weniger Individualverkehr, weniger Fleischkonsum, weniger Flugreisen, weniger fossil organisiertes Wirtschaftswachstum.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 3-2023 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2023