Das westdeutsche Wohnungswunder Ordoliberaler Sonderweg und sozial-räumliche Differenz
»Man kann der schlichten Meinung sein, dass die Dinge sich eben entwickeln, wie sie sich halt entwickeln müssen, und dass, wenn das Schicksal es eben will, [sich das Land] mit einem Pelz von Kleinhaus-Siedlungen gänzlich überziehen muss.« Dieser Meinung bin ich nicht, genauso wie die Autoren dieses Zitats, darunter Lucius Burckhardt und Max Frisch.[1] Wohnen und damit verbundene Bebauungs- und Siedlungsformen, so der Ausgangspunkt dieses Beitrages, sind nicht naturwüchsig, sondern immer Ausdruck von bestimmten gesellschaftlichen Normen, Wertvorstellungen und Formen des Regierens. Diese sichtbar zu machen und gegebenenfalls zu politisieren, ist eine zentrale Aufgabe der kritischen Stadtforschung und ein zentrales Anliegen politischer Akteure, wie zum Beispiel der »Recht auf Stadt«-Bewegungen.
In den letzten Jahren war viel von der Neoliberalisierung des Wohnens die Rede. Leistbarer Wohnraum wird vor allem in deutschen Metropolen zusehends zur Mangelware. Lockerungen des Mieterschutzes, die Öffnung des Wohnungsmarktes für ausländische Investoren, die Privatisierung großer Teile des sozialen Wohnungsbaus, die Schwächung des gemeinnützigen Bausektors und die Airbnb-isierung ganzer Stadtviertel haben vielerorts zu einer drastischen Verknappung von leistbarem Wohnraum sowie zu sozial-räumlichen Verdrängungs- und Polarisierungsprozessen – Stichwort: Gentrifizierung – geführt.[2] In Städten wie Berlin, Hamburg oder München ist die Wohnungsfrage längst als eine der dringlichsten sozialen Fragen zurückgekehrt. […]
Anmerkungen:
[1] Lucius Burckhardt u. a., achtung: die Schriften. wir selber bauen unsre Stadt/ achtung: die Schweiz/die neue stadt, Zürich 2016.
[2] Vgl. Lisa Vollmer u. Justin Kadi, Wohnungspolitik in der Krise des Neoliberalismus in Berlin und Wien. Postneoliberaler Paradigmenwechsel oder punktuelle staatliche Beruhigungspolitik?, in: PROKLA 191, Jg. 48 (2018), H. 2, S. 247–264; Andrej Holm, Wiederkehr der Wohnungsfrage, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.), Gesucht! Gefunden? Alte und neue Wohnungsfragen, Bonn 2019, 98–111.
Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. -2020 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2020