Das umstrittene Erbe des Michail Gorbatschow Russland zwischen Zerfall und Neuanfang

Von Eva-Maria Stolberg

Die friedliche Auflösung der Sowjetunion und des sozialistischen Bündnissystems in Osteuropa war eines der wichtigsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts. Dieser Prozess, in Gang gesetzt durch die Reformen Gorbatschows in den späten 1980er Jahren, führte zur deutschen Wiedervereinigung, zur Entstehung demokratischer Gesellschaften in Osteuropa und zu deren Beitritt zur Europäischen Union. Dreißig Jahre nach der Ära Gorbatschow ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen, welche Auswirkungen Gorbatschows Politik des Wandels auf das Russland des 21. Jahrhunderts hatte – und noch immer hat.

Ursache oder Wirkung?

Perestroika (Umbau) und Glasnost (Offenheit) sind in der retroperspektiven Betrachtung nicht unumstritten – vor allem in Russland besteht der Vorwurf, Michail Gorbatschow sei der Totengräber der russischen Weltmachtstellung gewesen. In Abkehr von der Breschnew-Doktrin verfügte Gorbatschow 1989, dass die Länder des Warschauer Paktes ihre Staatsform selbst wählen durften. Dies führte schließlich zu den friedlichen Revolutionen in Osteuropa. Unter Gorbatschows Mitwirkung kam es 1990 zur deutschen Wiedervereinigung, im selben Jahr wurde ihm der Friedensnobelpreis verliehen. Im August 1991 wollten Putschisten dann das Rad der Reformen wieder zurückdrehen und Gorbatschow entmachten. Der Sieger des Konfliktes im Sommer war Boris Jelzin, der nach der Auflösung der Sowjetunion zum ersten Präsidenten der Russländischen Föderation avancierte.

Die Sowjetunion war untergegangen, der Zerfall hatte jedoch schon früher eingesetzt. […]

Seite ausdrucken

Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 1-2019 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2019