Kehrseite des Technokratismus Vergleichende Notizen zum neueren westlichen Rechtspopulismus
Einer der bedeutenden Demokratietheoretiker des 20. Jahrhunderts, Hans Kelsen, lieferte bereits ein Stichwort für gedankliche Populismus-Resistenz, indem er schrieb: Es sei »nichts problematischer als gerade jene Einheit, die unter dem Namen des Volkes auftritt. Von nationalen, religiösen und wirtschaftlichen Gegensätzen gespalten, stellt es – seinem soziologischen Befunde nach – eher ein Bündel von Gruppen als eine zusammenhängende Masse eines und desselben Aggregatzustandes dar.
«[1] Das ist ein Ausgangspunkt der pluralistischen Demokratielehren, die jeden Anspruch bestreiten, einen homogenen Gemeinwillen »des« Volkes gegen den aus heterogenen, teilweise sogar antagonistischen Kräften sich bildenden politischen Gesamtwillen ausspielen zu können. Auf die Leitfrage: »Was ist Populismus?«, gibt der einschlägige Text von Jan-Werner Müller im Sinne einer klaren Antithese folgende Antwort: »Populisten sind zwangsläufig antipluralistisch […]. Demokratie ist ohne Pluralität jedoch nicht zu haben; wie Jürgen Habermas es einmal kurz und bündig formulierte: Das Volk ›tritt nur im Plural auf‹.
«[2] Populismus stelle ferner »einem moralisch reinen, homogenen Volk stets unmoralische, korrupte und parasitäre Eliten
« gegenüber. Typisch sei dabei auch ein Affekt gegen jede etablierte Partei; denn »wie der Name schon sagt, ist man nur ein ›Part‹ und vertritt nicht das Ganze«. Dem ist aber im Blickwinkel pluralistischer Demokratietheorien entgegenzuhalten: »A priori kann niemand den Volkswillen kennen; wir erfahren immer erst a posteriori von (häufig nur relativen) Mehrheiten.« Schließlich meint dies auch keine inhaltsarme oder beliebige Vielfalt: »Pluralismus ist immer Pluralismus von irgendetwas – zum Beispiel von Werten oder wirtschaftlichen Interessen oder Lebensstilen«.[3] […]
Anmerkungen:
[1] Hans Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, Tübingen 1929, S. 15.
[2] Jan-Werner Müller, Was ist Populismus?, Berlin 2017, S. 19; Zitat bei Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, Frankfurt a.M. 1994, S. 607.
[3] Müller, S. 42, S. 57, S. 62 u. S. 98.
Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 3-2017 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017