Der Konservatismus der Mitte Zum Toleranzdiskurs im schiitischen Islam

Von Stephan Kokew

Manchmal sagt ein Bild mehr als tausend Worte. Dies wird sich wohl auch der iranische Geistliche und passionierte Kalligraf, Ayatollah Abdolhamid Masoumi-Tehrani, gedacht haben, als er im April 2014 eine Internetbotschaft auf seiner privaten Homepage veröffentlichte, die über den Iran hinaus auch in einigen westlichen Medien Beachtung gefunden hat. Dabei ging es nicht etwa um das iranische Atomprogramm oder die Menschenrechtslage des Landes. Vielmehr wurde der Geste eines im Westen nahezu unbekannten iranischen Gelehrten Aufmerksamkeit geschenkt.

Was war geschehen? Auf seiner Internetseite hatte der im erzkonservativen Qom ausgebildete und heute in Teheran lebende Masoumi-Tehrani eine Nachricht veröffentlicht, in der er seine Landsleute zum bedingungslosen Respekt gegenüber den Angehörigen anderer Religionen und zu religiöser Toleranz und Brüderlichkeit gegenüber den religiösen Minderheiten seines Landes aufrief. Bemerkenswert an seinem Appell war, dass er diesem mit einer vielbeachteten Geste einen praktischen Ausdruck verlieh: Er überreichte den Repräsentanten der in seinem Heimatland massiv unterdrückten Religionsgemeinschaft der Bahais als Geschenk eine von ihm selbst angefertigte prachtvoll ausgestaltete Kalligrafie, in deren Zentrum er deutlich erkennbar eines der wichtigsten Symbole des Bahai-Glaubens platziert hatte, umrandet von Kalligrafien aus Versen der heiligen Schrift der Bahais, dem »Ketab-e Aqdas«.

Masoumi-Tehranis Nachricht wurde letztlich nicht nur im Iran von der obersten Riege schiitischer Geistlicher aufgenommen, sondern auch in anderen Nahost-Staaten mit einer schiitischen Bevölkerung rezipiert. […]

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 3-2015 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2015