Das Schisma der Konservativen Eine exemplarische Konfliktskizze aus teilnehmender Beobachtung im katholisch-konservativen Milieu
»Über drei Dinge soll man niemals in Gesellschaft reden: Religion, Politik und Krankheit«, sonst drohten Peinlichkeit, Missstimmung und Konflikte bis zum Zerwürfnis, lautet eine viel zitierte Benimmregel. Statt Krankheit werden auch Geld oder Beziehungsprobleme als Konversations-»No Go« genannt; aber in jeder Variante sind Religion und Politik dabei – schlecht für Menschen wie mich, die beides im Elternhaus von Jugend an als wesentliche Lebensinhalte vermittelt bekamen und zum Studienschwerpunkt sowie Lebensraum ihres gesellschaftlichen Engagements machten oder sogar zum Gegenstand publizistischer Tätigkeit. Letztere hat meistens nicht nur vor einem großen Publikum zu bestehen, sondern bleibt auch dem eigenen sozialen Umfeld nicht verborgen. Privat und beruflich lässt sich das nicht hermetisch voneinander trennen – politischer Journalismus wird in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung zu doppelt »vermintem Terrain«.
Konservative Defensive und Unzufriedenheit in der Ära Kohl
Großkonflikte gab es schon in der »alten« Bundesrepublik mehrfach: Wiederbewaffnung, Studentenrevolte, Ostpolitik, § 218-Reform, Anti-Atomkraft-Bewegung, Nachrüstung. Im Wahlkampf 1972 bekam ich es als Achtjähriger erstmals zu spüren: Das Familiennarrativ stand quer zum Zeitgeist, dem linksliberalen Meinungsklima nach dem ersten Entkirchlichungs- und »Wertewandel«-Schub ab Mitte der 1960er Jahre. Konservativ zu sein, war übel beleumundet. Den Durchmarsch der Linken abzuwehren, misslang im »Willy wählen«-Fieber. 1976 scheiterten wir erneut, diesmal bloß knapp mit 48,6 Prozent für den Kanzlerkandidaten Helmut Kohl, 1980 nach einer »Stoppt Strauß«-Kampagne dann wieder deutlicher. Kein Zweifel: Die kulturelle Hegemonie übte die Sozialdemokratie aus, und das bedeutete für Konservative: ein Leben im Dauerkonflikt.
Im Gymnasium bekam ich die Übermacht zu spüren. Die jüngeren Lehrer: alle links. Der Deutschlehrer verordnete uns den Liedermacher Franz Josef Degenhardt, der nicht nur der APO nahestand, sondern auch der DDR-gesteuerten DKP angehörte, aber angeblich bloß die Spießigkeit der deutschen Nachkriegsgesellschaft anprangerte. […]
Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 2-2019 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2019