Brennstoff für städtische Revolten Ein historisches Déjà-vu?

Von Franz Walter

Was ist der Brennstoff, was der Zünder für urbane Revolten? Not und Verelendung? Oder wirtschaftlicher Aufschwung und Wohlstandsmehrung? Diese Frage ist so neu nicht. Aber die städtischen Proteste im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts mit etlichen Aktivisten aus neu formierten Mittelschichten geben ihr abermals einige Aktualität. »Die erfolgsverwöhnten politischen Eliten in Ankara und Brasília«, schrieb vor zwei Jahren bereits der außenpolitische Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Sebastian Schoepp, »wirken verblüfft bis konsterniert. Haben sie nicht alles getan, um ihre Völker aus der Misere zu führen? Geht es den Menschen nicht viel besser als vor zehn Jahren? Politiker wie der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan oder Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff reagieren geradezu wie enttäuschte Eltern, deren Wohlstandskinder aufbegehren.«[1] Auffällig oft ging es dabei, wie zuvor ebenfalls in Deutschland etwa gegen Stuttgart 21, um städtische Infrastrukturprojekte besonders auf urbanen Plätzen und in Parks, welche sich in den Bevölkerungen hoher Beliebtheit erfreuten, nun aber monumentalen Bauvorhaben als Symbolen eines wirtschaftlich ambitionierten Expansionismus weichen sollten.

Entbehrliche in den Orten der Verdammnis

In der Vergangenheit pflegten, das hat die rhapsodische Geschichte von Rebellionen und Revolutionen deutlich gemacht, Zeiten der depressiven Stagnation oder gar der peinigenden Not und schlimmer ökonomischer Krisen weitgehend ungute Jahre für den gezielten und wirksamen sozialen Gegenschlag zu sein. Denn Menschen in Armut kündigen meist still ihre Sozialkontakte auf, ziehen sich auf sich selbst zurück, neigen zur Apathie, nehmen keine Möglichkeiten wahr, die Verhältnisse grundlegend umzustülpen oder auch nur graduell zu bessern. […]

Anmerkungen:

[1] Sebastian Schoepp, Generation Aufstand, in: Süddeutsche Zeitung, 20.06.2013; auch Josef Oehrlein, Der Weg ist die Suche nach dem nächsten Ziel, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.06.2013.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 2-2015 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2015