Musterschülerin der italienischen Rechten Von der Postfaschistin zur Neokonservativen?

Von Ursula Bitzegeio

Giorgia Meloni zeigt sich bislang sehr »zurückhaltend«, urteilte jüngst der Tagesschau-Journalist Jörg Seisselberg. Auch der italienische Politikprofessor Piero Ignazi ist »ziemlich angenehm überrascht«, denn es stand »viel Schlimmeres zu befürchten«. Der Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rom, Nino Galetti, nimmt die Regierungschefin sogar als »ausnehmend gemäßigt« wahr, Meloni habe sich »nationalkonservativ« ausgerichtet und in die europäische Politik eingereiht. Das gelte für die Außen- und Sicherheitspolitik, mit Blick auf die Hilfen für die Ukraine, »aber auch im Bereich Wirtschafts- und Haushaltspolitik«.[1] Moment! Zusammengefasst könnte dies bedeuten: Giorgia Meloni, die gestern noch in der Presse als die »gefährlichste Frau Europas« und rechtsextrem eingestuft wurde,[2] hat kurz nach der Regierungsübernahme gezeigt, dass eine Zukunft in Italien und Europa gestaltbar ist, ohne dem italienischen Faschismus mit all seinen politischen Implikationen, wie Führerkult, Autoritarismus, Imperialismus, Revanchismus und Rassismus, gänzlich abzuschwören. Mehr noch: (Neo-)Konservative Programminhalte, Angebote an »Mitte-rechts« können in einer Demokratie auch von einer (post)faschistischen Regierungspartei glaubhaft und ernstzunehmend vertreten werden. Ich wage dies stark zu bezweifeln und es drängen sich mir bei diesen Bewertungen einige grundlegende Fragen auf:

In welchem politischen Spektrum bewegt sich Giorgia Meloni denn nun? Kann man ihr derzeitiges Regierungshandeln losgelöst von ihrer eigenen politischen Sozialisation im Movimento Sociale Italiano (MSI), von den Personalien ihres Kabinetts und von ihren Äußerungen über Nähe und Distanz zum Mussolini-Faschismus bewerten? Verträgt sich im Europa des 21. Jahrhunderts (Neo-)Konservatismus oder Nationalkonservatismus tatsächlich mit italienischem (Post-)Faschismus – und welche inhaltliche Bedeutung haben eigentlich die Präfixe? Was genau ist mit »Zurückhaltung« und »Mäßigung« gemeint, wenn die Politik Giorgia Melonis derzeit im öffentlichen Diskurs bewertet wird? Hat die italienische Gesellschaft mit der Wahl Melonis eine svolta a destra, einen Rechtsruck vollzogen?
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[1] Jörg Seisselberg, Ein Jahr Meloni in Italien. Die Schein-Gemäßigte?, in: tagesschau.de, 25.09.2023, tinyurl.com/indes24145a.

[2] Luisa Brandl & Andrea Ritter, Wenn Italien wackelt, schwankt die EU: Darum ist Giorgia Meloni die gefährlichste Frau Europas, in: Stern, 25.09.2022, tinyurl.com/indes24145b.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H.1-2-2024 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2024