Kinderlose Prosperität Der demografische Kollaps in Südkorea

Von Jörg Michael Dostal

In einer intelligenten Intervention hat ein US-amerikanischer Autor nachzuweisen versucht, dass Karl Marx sich bei seinem »Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate« als zwangsläufiger Eigenschaft des Kapitalismus geirrt habe. Stattdessen schlug er vor, den »tendenziellen Fall der Menschenrate« als ein dem Kapitalismus grundlegend innewohnendes Gesetz anzuerkennen.[1] Tatsächlich zeigt sich in demografischen Studien eine sehr starke Verbindung zwischen dem Bruttosozialprodukt und der Geburtenrate. Je höher der gemessene materielle Wohlstand, desto niedriger die Zahl neu geborener Kinder. Je entwickelter der Kapitalismus, desto weniger zukünftige Arbeiter.

Die OECD definiert die Geburtenrate (total fertility rate) als die »Gesamtzahl der Kinder, die von jeder Frau geboren werden, die bis zum Ende ihrer gebärfähigen Jahre lebt«.[2] Zur Ermittlung der Rate von »Kindern pro Frau« werden »altersspezifische Geburtenraten definiert über Fünfjahres-Intervalle berechnet, wobei bei gleicher Lebenserwartung und ohne Migration eine Fertilitätsrate von 2,1 pro Frau eine stabile Bevölkerung innerhalb eines Landes bedeutet«.[3] Es ist also wichtig, den demografischen Kohorteneffekt bei den zukünftig noch möglichen Geburtenraten mitzudenken, um Ursache und Wirkung der demografischen Transformation zu begreifen. Anders ausgedrückt: Auch eine Erhöhung der Geburtenrate kann den Bevölkerungsrückgang bei einer bereits länger schrumpfenden Bevölkerung nicht mehr umkehren.

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[1] Vgl. Philip Pilkington, Capitalism’s Overlooked Contradiction: Wealth and Demographic Decline, in: American Affairs, H. 4/2022, S. 173–189, hier S. 175. Alle Übersetzungen aus dem Englischen durch den Autor.

[2] OECD, Fertility rates: Definition, tinyurl.com/indes244j1.

[3] Ebd.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 3-4-2024 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2024