Die Schlüssel zum Königreich Entscheidungstheoretische Überlegungen zu einem voraussetzungsvollen Begriff
Die lautlosen Revolutionen der Sprache geschehen nicht über Nacht. Entsprechend langwierig waren auch Entstehung und Bedeutungswandel des Begriffs der Schlüsselentscheidung. Der Begriff kann als Kompositum von Termini wie Schlüsselgewalt, Schlüsselmoment und Schicksalsentscheidung angesehen werden. In seiner aktuellen Form bezeichnet der Begriff der Schlüsselentscheidung ein plus ultra, eine über den üblichen Rahmen hinausgehende Entscheidung.[1] Diese den Rahmen des Üblichen sprengende Entscheidung beinhaltet ihrerseits eine Trias sie charakterisierender Bestandteile: So bezeichnet sie (a) eine Weichenstellung, die einen Möglichkeitsraum öffnet oder Wege in diesen hinein versperrt.[2] Die mit dem Begriff verbundene Schließung wie auch Öffnung wird (b) zumeist nicht retrospektiv gedacht, sondern von den jeweiligen Zeitgenossen auf das Treffen ihnen gegenwärtiger Entscheidungen gemünzt.[3] Ein solcherart als Schlüsselentscheidung ausgewiesenes Vorgehen wird (c) mit einer Vorstellung von Regierungstätigkeit verbunden, die Zukunft berechenbar zu erfassen vermag; die dazu in der Lage ist, die künftigen Folgen des Entscheidens abzuschätzen, die eigenen Potenziale zu mehren und das Risiko von Schadensfällen zu mindern.
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[2] Vgl. den Gebrauch des Begriffs bei Ian Kershaw, Wendepunkte: Schlüsselentscheidungen im Zweiten Weltkrieg 1940/41, München 2010, S. 17 f.
[3] Vgl. die Begriffsverwendung etwa bei Kurt Becker, Es bewegt sich doch. Hoher Preis für ein größeres Europa, in: Die Zeit, 13.02.1976, S. 1 oder Ansgar Graw & Andreas Middel, „Kein Europa der Eliten“. Interview mit Guido Westerwelle, in: Die Welt, 19.09.2003, S. 2.
Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 1-2025 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2025