Die Gründung des Bundesumweltministeriums Wendepunkt nach Tschernobyl, eine Schlüsselentscheidung und ihre politischen Pfadabhängigkeiten

Von Sascha Ohlenforst

Politik ist die Summe vieler Einzelentscheidungen. Insofern bestimmen sie über den Erfolg oder das Scheitern politischer Parteien und ihrer Repräsentanten. Insbesondere in modernen Wettbewerbsdemokratien müssen sich Politiker an ihren Entscheidungen messen lassen. Daher ist es für sie ratsam, sich gut beraten zu lassen, etwa von öffentlichen Expertenkommissionen oder Politikberatern. Bevor eine Entscheidung getroffen wird, werden in der Regel mehrere Prozesse der Entscheidungsfindung durchlaufen.[1] Jedoch gibt es auch Situationen und Konstellationen, in denen Politiker zum schnellen Handeln gezwungen sind – vor allem bei unvorhergesehenen Krisen oder Katastrophen. In solchen Fällen sind Politiker als Krisenmanager gefragt und auf ihre intuitiven Fähigkeiten angewiesen. Tief im westdeutschen Gedächtnis verankert ist, wie sich der damalige Hamburger Polizeisenator und spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) während der Sturmflut im Februar 1962 ohne Zögern über geltendes Recht hinwegsetzte, um die Bundeswehr zur Rettung von Menschen im Inland einzusetzen, womit er sich erfolgreich als Krisenbewältiger inszenierte.[2] »In der Krise beweist sich der Charakter«, soll Schmidt rückblickend einmal über die Ereignisse gesagt haben. Sein späterer politischer Aufstieg fußte maßgeblich auf diesem Image, mit dem er das Vertrauen der Bevölkerung gewann. In gewisser Weise setzte er damit Maßstäbe für spätere Politikergenerationen. Nicht immer geht es dabei um politische Entscheidungen, sondern im digitalen Zeitalter zunehmend auch um mediale Repräsentation. Als im Juli 2021 während der Flutkatastrophe im Ahrtal – und inmitten des Bundestagswahlkampfs – Bilder des CDU-Spitzenkandidaten Armin Laschet in Umlauf gerieten, auf denen er beim Besuch eines der Überschwemmungsgebiete lachte, führte dies zu einem deutlichen Popularitätsverlust. Nicht wenige politische Beobachter sahen in diesem Fehltritt einen entscheidenden Grund für seine anschließende Wahlniederlage. Daran wird deutlich, dass gerade Krisen und Katastrophen ein besonderes politisches Geschick erfordern. Dabei geht es primär um die Fähigkeit zur öffentlichkeitswirksamen Übernahme von Verantwortung und die Demonstration von Handlungsfähigkeit.

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[1] Eine zunehmende Verwissenschaftlichung politischer Wert- und Streitfragen beklagte jüngst der Soziologe Alexander Bogner, Die Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet, Stuttgart 2021.
[2] Zu den Ereignissen siehe den Sammelband von Martina Heßler & Christian Kehrt (Hg.), Die Hamburger Sturmflut von 1962. Risikobewusstsein und Katastrophenschutz aus zeit-, technik- und umweltgeschichtlicher Perspektive, Göttingen 2014.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 1-2025 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2025