Demokratische Reparatur Zwischen Resilienz und Vulnerabilität von Demokratien aus institutionalistischer Perspektive

Von Jared Sonnicksen

Dass Demokratien weltweit unter Druck stehen, ist inzwischen nicht nur allgemein bekannt. Diese Situation stellt auch ein gemeinsames Problem, oder vielmehr eine Reihe von Problemen dar, die nahezu alle demokratische Systeme betreffen,  und dies vielleicht sogar mit größerer Relevanz und Virulenz als je zuvor. Die Gründe dafür sind vielfältig. Sie sind sowohl auf externe als auch auf interne Veränderungen und Herausforderungen zurückzuführen, die von der Globalisierung und Transnationalisierung einerseits bis hin zu einem gesellschaftlichen Wertewandel sowie wachsendem Populismus und verstärkter Politikverdrossenheit andererseits reichen. Die letztgenannten Trends – also Entwicklungen innerhalb etablierter Demokratien selbst, aber auch in vielen anderen politischen Systemen – haben verschiedene Bedenken hinsichtlich der Stabilität und Anpassungsfähigkeit von Demokratie im Allgemeinen ausgelöst. Sie spiegeln sich auch in den Diskussionen über Reformen zur Anpassung des Regierens, der politischen Parteien oder neuer partizipatorischer Prozesse wider, die das Ziel verfolgen, so hohe Güter wie Beteiligung, Vertrauen und Unterstützung seitens der Bürger:innen wiederherzustellen. Folglich findet man ein breites und tiefgehendes Panorama an mehreren Forschungssträngen und Diskursen über die (Poly-)Krise der Demokratie.[1] Darüber hinaus gibt es eine Fülle von politik- und sozialwissenschaftlichen Forschungsbeiträgen der letzten Jahrzehnte, die darauf abzielen, diese diversen Krisenerscheinungen und Problemlagen zu diagnostizieren und zu bewältigen.[2] Ein bedeutender und wachsender Bereich, sowohl in der Politikwissenschaft als auch in der politischen Praxis, bezieht sich auf demokratische Innovationen. Diese haben besonders große Aufmerksamkeit erhalten, unter anderem da mit demokratischen Innovationen die Hoffnung verbunden wird, dass sie Bürger:innen  für die Politik ‚zurückgewinnen‘, beziehungsweise die Politik für Bürgerbeteiligung öffnen und die Versprechen der Demokratie effektiver verwirklichen können, als dies  herkömmliche repräsentativ-demokratische Formen zu leisten vermögen. Freilich müssen demokratische Regierungssysteme und Gesellschaften stets einen Gestaltungsraum für Adaptation und Innovation zulassen. Allerdings scheint im politischen und politikwissenschaftlichen Diskurs der Bezug auf Reparaturen und Instandhaltung bisher vernachlässigt worden zu sein. Auch wenn diese Fokussierung oder Stoßrichtung bislang eher zu kurz kommt, könnte sie sich als fruchtbar und sogar notwendig erweisen, um eine Reflexion und entsprechende Theoriebildung anzuregen, die auch auf die Reparatur, Wartung und laufende »Instandhaltung« demokratischer Institutionen und Praktiken abzielt. Kurzum – es gibt viele Gründe, sich mehr um die Pflege der Demokratie zu kümmern.
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[1] Exemplarisch hierfür steht die Jahrestagung der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft im Jahr 2024 unter dem Thema „Politik in der Polykrise“.

[2] Vgl. Volker Best u. a., Demokratievertrauen in Krisenzeiten. Wie blicken die Menschen in Deutschland auf Politik, Institutionen und Gesellschaft? Bonn 2023; Frank Decker, Bürgerräte – Abhilfe gegen die Repräsentationskrise oder demokratiepolitisches Feigenblatt?, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, H. 1/2021, S. 125–140; ders. u. a., Demokratie ohne Wähler. Neue Herausforderungen der politischen Partizipation, Bonn 2013.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H.1-2-2024 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2024