Linke Buchläden in den 1970er Jahren Kommunikationszentren im Hintergrund des Protestgeschehens
Sucht man in diesen Tagen nach Spuren von »68«, so können in früheren Hochburgen der Studentenrevolte zwar Häuser besichtigt werden, die einst SDS-Zentren beherbergten. Auch sind an einigen Stellen Gedenkplatten angebracht. Unter Umständen gelangt man in längst anderweitig genutzte Räume früherer Kommunen, in denen – noch im Verborgenen – erste Akte der Revolten aufgeführt worden sind. Und im kollektiven Gedächtnis der Chronisten sind öffentliche Einrichtungen wie die Amerika-Gedenkbibliothek sowie die Deutsche Oper in Berlin und auch Orte wie der »Tegeler Weg«, die »Societätsdruckerei« in der Mainzer Landstraße oder der Bonner »Hofgarten« eng verbunden mit Marksteinen der »68er«-Ereignisse.
Auf Initiative der taz provoziert in Kreuzberg seit 2008 die Rudi-Dutschke-Straße unmittelbar gegenüber dem Axel-Springer-Bürogebäude, während auf dem Frankfurter Campus seit April 2016 eine Theodor W. Adorno gewidmete Installation ein bislang eher unscheinbares Plätzchen aufhübscht. Zusammengenommen bieten all diese Stätten jedoch erstaunlich wenig begehbare Erinnerungsorte für jene Bewegungen, die als globale »Revolution im Weltsystem«[1] verhandelt werden, die in der Geschichtswissenschaft gemeinhin als »Knoten-, Scheitel- oder Umschlagpunkt einer zivilen Nachgründung«[2] der alten Bundesrepublik gelten und gegen die sich aktuell die geballte geschichtspolitische Regression der »Alternative für Deutschland« richtet.
Auch linken Buchläden, die in vielen Szenevierteln deutscher Großstädte weiterhin aufgesucht werden können, sind Erinnerungen an die »68er«-Bewegungen kaum noch eingeschrieben. Dabei erscheinen sie heute im Stadtbild der Bundesrepublik neben Kinderläden als die bedeutendsten materiellen Überbleibsel der von den Revolten und Aufbrüchen Ende der 1960er Jahre ausgelösten längerfristigen Transformationsprozesse in der alten Bundesrepublik. […]
Anmerkungen:
[1] Siehe Immanuel Wallerstein, 1968: Revolution im Weltsystem, in: Étienne François u.a. (Hg.), 1968 – ein europäisches Jahr?, Leipzig 1997, S. 19–33.
[2] Heinz Bude, Achtundsechzig, in: Étienne François u. Hagen Schulze (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte, Bd. II, München 2009, S. 122–136, hier S. 122.
Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 4-2016 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017