Konstruieren statt Kodieren

Von Richard Biernacki

In der heutigen amerikanischen Sozialwissenschaft gilt das Kodieren als Königsweg, um jegliche Form kultureller Texte in objektiv wirkende »Daten« zu überführen und hierdurch die denkbar tiefsten Bedeutungen zu erschließen. Das Kodieren ist als Technik so wichtig, weil einflussreiche Sozialwissenschaftler mit ihm ein nicht anfechtbares Inventar des Sinngehalts jeglicher Form der Kommunikation, weit über Meinungsforschungsergebnisse hinaus, erstellen zu können glauben. Weil das Kodieren so einfach wirkt, ist es auf den ersten Blick kaum hinterfragenswert. Der Forscher verpflichtet sich lediglich dazu, Dokumente oder Textsegmente in Kategorien einzuordnen, um sie dann über ihre wichtigste, ja essenzielle Bedeutung klassifizieren zu können. So kann man beispielsweise Filmkritiken aus einer Zeitung über ihre positiven oder negativen Einschätzungen zu kürzlich erschienenen Filmen kodieren. Oder man kodiert das politische Genre, zu dem kontroverse Liedtexte gehören. Kurz: Jede verbale Äußerung ist eine potenzielle Beute.

Nicht zuletzt hat das Kodieren starke wissenschaftspolitische Implikationen […]

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 4-2013 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2013