Die machtpolitische Versuchung Das Wahlrecht in der Krise

Von Stephan Klecha

Die Bundesrepublik hat – abgesehen von ihrer Frühphase und der ersten Großen Koalition – keine grundlegenden Wahlsystemdebatten geführt. Die mit der Personenwahl verbundene Verhältniswahl gilt im Prinzip als recht gelungene Verknüpfung verschiedener Anforderungen an ein demokratisches Wahlverfahren.[1] Trotzdem war und ist das Wahlrecht in steter Veränderung begriffen. Nachdem die jüngste Novelle nun mit einem geradezu vernichtenden Urteilsspruch der obersten deutschen Richter als verfassungswidrig verworfen worden ist, steht in Sichtweite der nächsten Bundestagswahl eine Debatte um einen essentiellen Bestandteil der demokratischen Ordnung ins Haus. Jeder Eingriff ins Wahlrecht kann dabei große Wirkung entfalten und schlimmstenfalls die Legitimationsgrundlage der Demokratie unterhöhlen. Auf terminologische Feinheiten sei an dieser Stelle hingewiesen: Obgleich Wahlsystem und Wahlrecht oftmals synonym verwendet werden, meint das Wahlsystem einen wesentlich kleineren Ausschnitt als das Wahlrecht. Letzteres umfasst die Gesamtheit aller Angelegenheiten, die zur Organisation der Wahl notwendig sind, während ersteres die Übersetzung von Wählerstimmen in politische Repräsentation bedeutet.[2] Somit kann eine Änderung im Wahlrecht also Folgen für das Wahlsystem haben, sie muss es aber nicht. Unabhängig davon führen mitunter auch kleinere Veränderungen am Wahlrecht zu geringfügigen Effekten bei der Mandatszuteilung. […]

Anmerkungen:

[1] Eckhard Jesse, Verhältniswahl und Gerechtigkeit, in: Gerd Strohmeier (Hg.), Wahlsystemreform, Baden-Baden 2009, S. 105–131, hier S. 127; Manfred Schmidt, Das politische System Deutschlands. Institutionen, Willensbildung und Politikfelder, Bonn 2010, S. 51.

[2] Frank Decker, Regieren im »Parteienbundesstaat«. Zur Architektur der deutschen Politik, Wiesbaden 2011, S. 135 ff.; Dieter Nohlen, Wahlrecht und Parteiensystem. Zur Theorie und Empirie der Wahlsysteme, Opladen/Farmington Hills 2009, S. 61.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 3-2012| © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2012