Europäische Identitäten in der Krise Drei Länder im Vergleich

Von Dennis Lichtenstein

Seit Beginn der Eurokrise mehren sich Stimmen aus Politik und Gesellschaft, die ein neues Leitmotiv für die EU einfordern. Dazu gehören Demonstrationen von Pulse of Europe und der Democracy in Europe Movement 2025 ebenso wie Veranstaltungen der von der EU-Kommission ausgehenden Initiative »New Narrative for Europe«. Zuletzt hat EU-Kommissionspräsident Juncker mit seinem im März 2017 vorgelegten Weißbuch zur Zukunft Europas fünf mögliche Wege zur Wahrung der europäischen Einheit zur Diskussion gestellt. Jeder dieser Vorstöße zielt auf die Frage nach einer gemeinsamen europäischen Identität ab, die sowohl die Loyalität der Bürger zur EU als auch die Solidarität zwischen den Ländern und ihren Bevölkerungen stärken soll.

Rufe nach einer europäischen Identität haben in Krisenzeiten, in denen die zentralen Strukturen und Normen der Gemeinschaft als bedroht wahrgenommen werden,[1] Konjunktur und gelten selbst als Krisensymptome. Seit der Eurokrise steckt die EU in einer Mehrfachkrise: Strenge Sparauflagen für die Krisenländer, Massenarbeitslosigkeit sowie die Niedrigzinspolitik der EZB stellen das an Euro und Binnenmarkt geknüpfte Wohlstandsversprechen der EU sowie die Vereinbarkeit europäischer und nationaler Interessen infrage. Dazu haben Verteilungskämpfe und gegenseitige Anfeindungen etwa zwischen Deutschland und Griechenland dem Vertrauen und der Kooperationsbereitschaft zwischen den EU-Ländern geschadet.

Wie fragil die Zusammenarbeit geworden ist, zeigte sich eindrucksvoll während der Flüchtlingskrise 2015 in offenen Konflikten um die Aussetzung des Schengener Abkommens und in der Verweigerung von Solidarität in der Flüchtlingsaufnahme. […]

Anmerkungen:

[1] Vgl. Uriel Rosenthal, Paul ’t Hart u. Michael T. Charles, The world of crises and crisis management, in: Uriel Rosenthal, Michael T. Charles u. Paul ’t Hart (Hg.), Coping with crises. The management of disasters, riots and terrorism, Springfield 1989, S. 3–33, hier S. 10.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 2-2017 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017