Der Fall Berlusconi und Italien Eine Koinzidenz?

Von Klaus Kellmann

Silvio Berlusconi wird am 29. September 1936 in Mailand geboren, in einem Viertel hinter den Gleisen des Zentralbahnhofs. Der Vater ist Prokurist der ortsansässigen Banca Rasini. Er spart jede Lira, damit der Sohn auf das hochangesehene Gymnasium der Salesianer gehen kann. Dort macht der begabte Junge sein erstes Geld – er verkauft seine Hausaufgaben für zwanzig Lire an weniger begabte Klassenkameraden. Wenn sie dafür nicht wenigstens eine Vier bekommen, gibt er ihnen das Geld zurück.

Das Jura-Studium verdient er sich als Staubsaugervertreter, als Sänger auf Kreuzfahrtschiffen und auf dem Bau. Seit dem 22. Lebensjahr ist er finanziell unabhängig. 1961 begegnet er dem Mann, mit dem er »das andere Leben« gestalten wird: dem Sizilianer Marcello Dell’Utri, der sich in Mailand an derselben Fakultät eingeschrieben hat. Einen vom Vater vermittelten Posten an der Banca Rasini lehnt der mit Auszeichnung Examinierte ab. Stattdessen nimmt Berlusconi einen Kredit auf, um am Mailänder Stadtrand vier Mietshäuser für Arbeitsmigranten aus dem Süden zu bauen. 1963 ist er dort Herr über viertausend Mieter, und auch das ist nur ein Durchgangsstadium. Mit der zehn Jahre später errichteten Trabantenstadt »Milano 2«, einem Ensemble aus Luxusdomizilen mit Schwimmbädern und Tennisplätzen, avanciert er zu einem der reichsten Männer Italiens. Saturiert oder satt ist er deshalb noch längst nicht. Es reicht ihm nicht, nur der re del mattone, der »Ziegelkönig« Italiens zu sein.

Aufbau des Medienimperiums und Gründung der Forza Italia

Am 26. Januar 1978 tritt Berlusconi unter der Mitgliedsnummer 1816 der »bedeckten«, also geheimen, Freimaurerloge Propaganda Due oder kurz P2 des »Großmeisters« Licio Gelli (1919–2015) bei. Die Treffen in Gellis »Villa Wanda« im toskanischen Pistoia glichen einem Stelldichein der italienischen Politik, Hochfinanz, Generalität, Jurisprudenz und Polizeiführung. Das Ziel der Loge bestand in einer schrittweisen und schleichenden Verlagerung von institutionell-demokratischen Kompetenzen in klandestine, der öffentlichen Kontrolle entzogene Schattenbereiche hinein, ins Sottogoverno, einer »Regierung unterhalb der Regierung«. Zwar fliegt die P2 Anfang 1981 auf und wird verboten; Berlusconi schwört einen (Mein-)Eid, ihr niemals angehört zu haben, gleichwohl markiert die Loge aber seinen Einstieg in die Politik. Natürlich hat er sie dazu benutzt, um an frisches und günstiges Kapital zu kommen; es spricht aber auch einiges dafür, dass er in und mit ihr zum eigentlichen Medienmann Italiens aufgebaut werden sollte, zum Meinungsmacher auf dem Stiefel. Von 1980 an gründete bzw. kaufte er die drei Privatfernsehsender Canale 5, Italia 1 und Rete 4, deren Programm er als bewusstes Gegenstück zu den drei staatlichen Sendern Rai 1, 2 und 3 gestaltet: leichte Informationen, leichte Mädchen und leichte Kost, und das alles bis 1990 ohne faktische gesetzliche Grundlage. Es entstand ein Duopol, in dem er hinsichtlich Quoten und Werbezeiten ständig die Nase vorn hatte. […]

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 3-2019 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2019