Editorial

Von Matthias Micus  /  Luisa Rolfes

Ein Knacken in der Telefonleitung, ein grauer Schlapphut, ein Trenchcoat, eine Miniaturkamera im Knopfloch und Wanzen unter dem Schreibtisch – die Stereotype über Geheimdienste, Spionage, Agent*innen, verdeckte Ermittler* innen und Spitzel sind allgemein bekannt. Über Film, Hörspiel oder Literatur verbreitet, schreiben sie sich munter fort, selbst wenn derart agierende und sich camouflierende Spion*innen wenn überhaupt für die Ära des Kalten Krieges und allenfalls das diese Epoche umrahmende 20. Jahrhundert insgesamt kennzeichnend gewesen sind, aber sehr viel weniger bis gar nicht für die Zeit danach, das Zeitalter der Digitalisierung, oder auch jene davor.

Jedenfalls: Das System der versteckten Augen und Ohren zur geheimen Informationsgewinnung ist mitnichten eine moderne Erscheinung. Kyros der Große, Hieron I. von Syrakus oder Cäsar: Sie alle nutzten Spitzel und Spion*innen, um Informationen über Gegner, Verräter und Vorgänge im eigenen Reich zu sammeln und so die eigene Macht zu sichern. Zunächst noch durch mündliche Übermittlung, dann über Holztafeln, ausgehöhlte Spazierstöcke, Morsezeichen bis hin zu verschlüsselten digitalen Nachrichten – die Informationsweitergabe entwickelte sich immer weiter, wurde moderner und schwerer zu entschlüsseln, ohne dass sich die dahinter stehenden Intentionen grundlegend gewandelt hätten.

Ebenjene durch Spionage gewonnenen Informationen beeinflussen (und beeinflussten) politische Entscheidungen, sie stabilisieren Herrschaft und unterminieren Opposition. »Spionage gehört zu Staaten dazu, egal, ob groß oder klein, diktatorisch, monarchisch oder demokratisch, im Krieg wie im Frieden«, bilanziert der Spiegel-Redakteur Georg Bönisch die machtstützende Funktion von Geheimdienstarbeit. Dabei schürten Geheimdienste in der Vergangenheit wiederholt auch innergesellschaftliche Konflikte, gerade in Phasen innenpolitischer Polarisierung. So förderte beispielsweise das englische Geheimdienstwesen in der Zeit der Glaubenskriege im 16. Jahrhundert das Denunziantentum und säte so das Misstrauen gegen Fremde. »Zu viel Furcht«, meinte der Geheimdienstchef von Königin Elizabeth I., Francis Walsingham, »ist weniger schlimm als zu wenig«. Zugleich wirkten Geheimdienste durch ihre Tätigkeit immer wieder auch konfliktvermeidend, so etwa im Kalten Krieg, als ihre Informationen über das Tun der jeweiligen Gegenseite halfen, »Überreaktionen zu vermeiden und Sicherheit zu schaffen«. »Ich bin 2 Editorial überzeugt davon«, zeigte sich denn auch der Chef des DDR-Auslandsgeheimdienstes, Werner Großmann, noch Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung wenig reumütig, »dass unsere Arbeit dem Frieden diente. Wir haben dafür gesorgt, dass Konflikte friedlich in Verhandlungen entschärft werden konnten.«

Dennoch schlägt Geheimdiensten weithin Misstrauen entgegen, dies deshalb, weil zwischen ihnen, ihren Aufgaben und den für Demokratien konstitutiven Freiheitsrechten ein kaum auflösbares Spannungsverhältnis besteht. Dies vor allem in Deutschland, wie der Historiker Sönke Neitzel urteilt, wo Geheimdienste aufgrund der Erfahrungen mit Gestapo und Stasi als etwas mit der Demokratie kaum zu Vereinbarendes angesehen würden. Doch auch darüber hinaus kollidieren Geheimdienste schon strukturell mindestens mit dem demokratischen Transparenzgebot, da sie schon dem Namen nach im Geheimen agieren und insofern wesensmäßig verdeckt arbeiten. Ohne Transparenz aber sind sowohl die Gewaltenteilung als auch die Kontrollrechte der Opposition wie ebenfalls die Willensbildung der Bevölkerung – allesamt Bestandteile des Kerngehaltes einer Demokratie – permanent zumindest gefährdet.

Brisant wird das Spannungsverhältnis zwischen demokratischer Öffentlichkeit und geheimdienstlicher Tarnung, wenn die Legitimität von Spionageaktivitäten öffentlich zur Debatte steht. Denn auch wenn man deren grundsätzliche Notwendigkeit anerkennen mag, bleibt doch stets zu fragen, was als hinreichender Anlass gelten kann, wie weit geheimdienstliche Befugnisse reichen sollten und wie streng ihre Kontrolle sein muss. Mit vernichteten NSU-Akten durch Verfassungsschutz-Beamte und den Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden sind nur zwei Ereignisse genannt, die den Geheimdiensten in der jüngsten Vergangenheit mediale Aufmerksamkeit verschafft haben. Dabei droht der Fokus auf Geheimdienste den Blick für die Vielschichtigkeit, für Zeitspezifika und Strukturgesetzlichkeiten geheimer Informationsgewinnung zu versperren. Gravierende Differenzen gibt es zwischen Geheimdiensten in demokratisch verfassten Staaten und jenen in autoritär durchherrschten Regimen. Offensichtlich ist ebenfalls, dass die konkrete geheimdienstliche Arbeit einem historischen Wandel unterliegt. Auch im Hier und Jetzt finden sich verschiedenste Akteure, Methoden und Motive der Spionage. Was freilich über alle Zeiten hinweg verblüffend gleich geblieben ist, das ist das Schicksal der Spion*innen. Man darf sich den Spitzel nicht als glücklichen Menschen vorstellen. Zwar mag sie oder er den Nervenkitzel, der mit der Spionagetätigkeit verbunden ist, lieben, begierig die im Erfolgsfall gespendeten Komplimente und Lobreden der Auftraggeber*innen aufsaugen oder die finanziellen Gefahrenzulagen zu schätzen wissen. Zugleich aber leiden Spitzel vielfach an Schlaflosigkeit, die enorme nervliche Anspannung, nicht auffliegen zu dürfen, die andauernde Verstellung und der ständige Schwebezustand zwischen richtigem und falschem Leben lasten schwer auf ihnen und lassen sich dauerhaft folgenlos kaum aushalten. Selbst von den Spionagelegenden zeichnen Porträts düstere Bilder. Etwa Richard Sorge, der im Dienste der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg von Japan aus die Nazis ausspionierte, und der innerlich einsam war, sich vollkommen heimatlos fühlte und in Tokio unter extremer Anspannung lebte. Das Klima setzte ihm zu, im Sommer drückend heiß, im Winter nasskalt. Spätestens ab 1935 war er alkoholkrank, soff er, um seinem Dasein wenigstens kurzzeitig zu entfliehen. Und auch Sorges Ende war eher typisch als außergewöhnlich für einen Spitzel: Verhaftung, Folter, Ermordung.

Wer aber sind nun die Spione, Spitzel und Agenten von früher und heute? Auf welchen Annahmen fußen unsere Urteile? Stereotypischen Vorstellungen stehen solche Persönlichkeiten und Spionagefälle gegenüber, die trotz ihrer Bedeutsamkeit erstaunlich unpopulär geblieben sind. Und auch jenes scheinbar abgesicherte Wissen über bekannte Kapitel der Spionagegeschichte erweist sich bei näherem Hinsehen als lückenhaft, dies aus dem schlichten Grund heraus, weil es mindestens in Deutschland bisher verblüffend wenig Forschung zu Geheimdiensten gibt. Mit Blick in die Zukunft schließlich stellt sich nicht zuletzt die Frage, wo sich neue Felder geheimer Informationsgewinnung abzeichnen und vor welchen Herausforderungen die Geheimdienste im 21. Jahrhundert stehen.

Die vorliegende Ausgabe der INDES will sich nicht damit begnügen, jene Debatten nachzuvollziehen, die im Zuge brisanter Geheimdienstaffären und Skandale geführt worden sind. Die folgenden Beiträge, die so vielfältig sind wie das Thema selbst, sollen sowohl mit verkürzter Kritik als auch mit einfachem Zuspruch brechen, blinde Flecken aufspüren und neue Fragen aufwerfen. Mindestens aber hoffen wir, interessante Einblicke in die facettenreiche Geschichte und Gegenwart der Spionage zu bieten. Wir wünschen viel Freude bei der Lektüre.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 4-2019 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2019