Von Erlösung, Emanzipation und Entfremdung Die Linksparteien und ihr »Spaltungsgen«

Von Thomas Meyer

Oft wird behauptet, die Parteien auf der linken Seite der politischen Sitzordnung litten an einer Art »Spaltungsgen«. Das bezieht sich in der Regel nicht nur auf die Wahrscheinlichkeit bzw. Häufigkeit des Zerbrechens sowie von Neugründungen dieser Parteien, sondern auch auf den tatsächlich fast kuriosen Sachverhalt, dass nicht selten selbst winzige linke Organisationen, die an einem ausgesprochenen Mitgliedermangel leiden – durch den sogar ihr Anspruch auf den Parteistatus höchst fragwürdig erscheint –, von rivalisierenden Gründungen und dann nachfolgenden Spaltungen der Spaltprodukte selbst heimgesucht werden. Letzteres ereignete sich in besonders nachdrücklicher Weise, die das eingangs erwähnte Urteil anscheinend eindrucksvoll bestätigt, in der Bundesrepublik der 1970er Jahre, als sich am äußersten linken Rand nach der Gründung der DKP, die eigentlich eine Wiedergründung der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen KPD war, je nach Zählung sieben bis zehn weitere kommunistische Parteigründungen vollzogen und alle diese Organisationen nicht lediglich miteinander rivalisierten, sondern sich sogar gegenseitig als »Verräter«, nahezu Todfeinde, erbittert bekämpften.

Diese seltsame Blüte radikal linker Parteien grenzte nicht nur wegen des Missverhältnisses zwischen der Geringfügigkeit der politischen Differenzen einerseits, der Unbarmherzigkeit der wechselseitigen Bezichtigungen und Attacken andererseits, sondern insbesondere auch vor dem Hintergrund der Marginalität der jeweiligen Mitgliedschaft an eine Groteske und hat den öffentlichen Eindruck (teilweise bis hinein in die Sozialwissenschaften) erheblich verstärkt, dass linke Parteien an einer Art neurotischer »Spalteritis« litten, die sie nur beschränkt handlungsfähig erscheinen ließ. Da aber auch die SPD in ihrer ungewöhnlich langen Geschichte mit einer konkurrierenden Parallelgründung begann und mehrere direkte sowie indirekte Abspaltungen erfuhr, wird das Urteil der problematisch ausgeprägten Spaltungsneigung häufig auch auf sie erstreckt und damit auf die gesamte Linke im weitesten Sinne bezogen. […]

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 4-2016 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017