Von Klößen, einem Elefantengesicht und Pornografie Die unglaubliche Welt des Dieudonné

Von Teresa Nentwig

Seine Sympathisanten – eine bunte Mischung

Trotz seiner Tabubrüche und Verurteilungen hat Dieudonné unzählige Fans. Bei der Frage nach dem Warum hilft ein Blick in die Hallen, in denen er auf­tritt: Araber, Schwarze, Weiße, Jugendliche aus der Unterschicht wie auch aus der Mittelschicht, linke Wähler, Linksradikale und Rechtsextreme, Ras­sisten und Antirassisten, Antisemiten und Antizionisten – sie stehen dort nebeneinander und lachen über die gleichen Witze. Dieudonné selbst ver­glich sein Publikum folglich einmal mit „einer Box voller Buntstifte“[24]. Der Philosoph Alain Finkielkraut formulierte es kürzlich weniger bildhaft: „Das Publikum von Dieudonné repräsentiert die Verschiedenheit der französi­schen Bevölkerung […].“[25]

Gerade die dunkelhäutigen Besucher seiner Shows, die häufig in vielerlei Hinsicht Diskriminierung erfahren und denen nicht selten politische Orien­tierungspunkte fehlen, begrüßen, dass Dieudonné den Kampf gegen Rassis­mus zu seinem Thema gemacht hat. In Dieudonné, der sich selbst als Opfer von Rassismus inszeniert, erkennen sie sich wieder – er ist zu ihrem Helden, zu ihrer Ikone geworden.

Doch wie kommt es, dass sich unter den Zuschauern seiner Shows auch junge Leute befinden, die aus der Mittelschicht stammen, politisch eher ge­mäßigt, ja häufig links sind und die jeglichen Antisemitismus von sich wei­sen? Dieser Frage ging Anfang 2014 Soren Seelow, Journalist bei Le Monde, nach. Er sprach mit zahlreichen Anhängern Dieudonnés und fand dabei heraus, dass er für viele Kult ist; sie halten Dieudonné „für den begabtes­ten Komiker seiner Generation“[26]. In diesem Zusammenhang zitiert Seelow den 22-jährigen Nico, der an der Sorbonne Jura studiert und bei der letz­ten Präsidentschaftswahl im ersten Wahlgang die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) und im zweiten Wahlgang die Sozialistische Partei (PS) ge­wählt hat. Schon im Alter von 16 Jahren sei er Fan von Dieudonné gewor­den, wobei ihn dessen „Kampf“ für die „Gleichheit aller vor dem Lachen“ fasziniere, so Nico.[27]

Nico wie auch Guillaume, ein 22-jähriger, „eher linker“[28] Student der Sprachwissenschaft, führten zudem an, dass ihre Lehrer in der Schule von Anfang an über den Holocaust gesprochen hätten, während beispielsweise der Völkermord in Ruanda nicht thematisiert worden sei. Dabei seien ihnen auch Schuldgefühle vermittelt worden, obwohl die Schuld aus ihrer Sicht bei den vorangehenden Generationen liege. Die Shows von Dieudonné, so die Folgerung Seelows, gäben den jungen Leuten die Möglichkeit, sich von dieser Schuldhaftigkeit zu befreien – sie seien wie „ein mächtiges Ventil“[29] und ein Versuch, die Ungleichgewichte, die im Schulunterricht bei der Behandlung von rassistischen Verbrechen wahrgenommen worden seien, zu korrigieren. Hier wird deutlich, dass Dieudonnés Bestreben, den Holocaust – eigentlich das „höchste Tabu“[30] – aus der kollektiven Erinnerung zu verdrängen, nicht nur in stark rechten Milieus auf Zustimmung stößt.

Seit kurzem kann Dieudonné allerdings nicht mehr ganz so unbeschwert poltern wie bisher, denn der Staatsrat, das oberste Verwaltungsgericht in Frankreich, bestätigte am 9. Januar 2014 ein Auftrittsverbot. Weitere folg­ten unmittelbar darauf. Da die Auftrittsverbote speziell für sein Stück „Die Mauer“ galten, kündigte Dieudonné bereits am 11. Januar 2014 an, statt die­ser Show ein neues Programm zu zeigen. Schon zwei Tage später präsen­tierte er sein neues Stück mit dem Titel „Asu Zoa“, das er in „drei Nächten“[31] geschrieben haben will. Es handele sich um eine Mischung aus „Tanz und Musik, Mimenspiel und sogar einigen Tai-Chi-Bewegungen […], inspiriert von überlieferten Mythen und primitiven Volksglauben“[32]. In seiner Show verzichtet Dieudonné denn auch auf seine kontroversesten Äußerungen und auf direkte Angriffe gegen Juden und die Shoah. Doch viele seiner doppel­bödigen Sketche sind trotzdem nahezu identisch mit denen aus „Die Mauer“. Hinzu kommt: Asuzoa bedeutet in der in Kamerun gesprochenen Sprache Ewondo „Das Gesicht des Elefanten“. Da Dieudonné gern mit Sprache spielt, spekulierten verschiedene Webseiten, darunter das jüdische Online-Magazin Alliance, darüber, ob es sich dabei nicht um ein Anagramm von „USA ZOA“ handelt. Dies steht für „Zionist Organization of America“ und damit für die älteste pro-israelische Organisation in den USA.

Das entschärfte Programm tat dem Zuschauerzustrom keinerlei Abbruch. So waren beispielsweise die zehn Auftritte, die Dieudonné Anfang Februar 2014 am Genfer See hatte, restlos ausverkauft. Das Publikum feierte ihn nach jeder Aufführung mit Standing Ovations. Möglicherweise trug die mediale Aufmerksamkeit, die Dieudonné zuvor durch Anelkas Quenelle und mehrere Auftrittsverbote erhalten hatte, zu diesem Auflauf bei. Das, was Dieudonné bereits im Februar 2005 gesagt hatte, scheint sich genau neun Jahre später mehr denn je bewahrheitet zu haben: „Je mehr man auf mich einschlägt, desto mehr kommen zu meinen Shows.“[33]

Eine zweite Karriere in der Politik?

Ein Portrait über Dieudonné wäre nicht vollständig, würde man nicht auch auf seine Versuche, in der Politik Fuß zu fassen, eingehen. Alle Kandidatu­ren bei Wahlen blieben zwar erfolglos; doch die Hartnäckigkeit, mit der er immer wieder erneut antrat, ist bemerkenswert: 1989 und 2001 kandidierte Dieudonné bei der Kommunalwahl, 1997 und 2002 bei der Parlamentswahl, 1998 bei der Regionalwahl sowie 2004 und 2009 bei der Europawahl. 2002 und 2007 wollte er zudem bei der Präsidentschaftswahl antreten. Beide Male gelang es ihm jedoch nicht, die fünfhundert Unterschriften von gewählten Volksvertretern vorzulegen, die notwendig sind, um als Kandidat zugelas­sen zu werden.

Als Dieudonné seine ersten Schritte in der Politik unternahm, stand er den Grünen nahe[34] und wollte mit seinen Kandidaturen das Erstarken des FN verhindern. „Die einzige Partei, die mich beunruhigt und gegen die ich mich engagiere, das ist der FN“, sagte er beispielsweise 1997, als er zur Par­lamentswahl antrat.[35] Doch das änderte sich bald: Wie schon erwähnt, drif­tete Dieudonné im neuen Jahrtausend in die rechtsextreme Ecke ab. Im No­vember 2006 beispielsweise besuchte er eine Großveranstaltung des FN bei Paris. Im Jahr darauf begleitete Dieudonné Jean-Marie Le Pen nach Kame­run. Der damalige Vorsitzende der FN wurde 2008 sogar Patenonkel seines dritten Kindes.

Vermutlich wäre Dieudonné, nach 2004 und 2009, auch gern im Mai 2014 zur Europawahl angetreten. Doch nachdem er die Wahlkampfabrechnung für seine „Antizionistische Liste“, mit der er 2009 in den Europawahlkampf gezogen war, nicht fristgerecht eingereicht hatte, wurde er im Mai 2012 vom höchsten Gerichtshof in Frankreich, dem Verfassungsrat, zu drei Jahren „Un­wählbarkeit“ verurteilt. Vorerst bleiben Dieudonné für seine Systemkritik also nur die Bühne und das Internet.

Anmerkungen:

[1] Zit. nach https://twitter.com/vfourneyron [eingesehen am 29. 03. 2014]. Bei dieser und allen weiteren Übersetzungen aus dem Französischen ins Deutsche handelt es sich um Überset-zungen durch die Verfasserin.

[2] Zit. nach Pascal Bruckner, Le racisme anti-blanc existe, c’est l’antisémitisme!, in: Le Monde, 05. 01. 2014.

[3] Zit. nach Rosalie Lucas u. Didier Micoine, La provocation d’Anelka, in: Le Parisien, 29. 12. 2013.

[4] Mittlerweile spielt Anelka nicht mehr für seinen Verein West Bromwich Albion. Nachdem der Fußballprofi Mitte März 2014 per Twitter angekündigt hatte, seinen Vertrag aufzulösen, gab der Verein bekannt, dass Anelka mit 14-tägiger Frist entlassen sei.

[5] Zit. nach Olivier Mukuna, Dieudonné: „Je veux aller en prison“, in: Femmes de chambre, 31. 12. 2013, URL: http://www.femmesdechambre.be/dieudonne-je-veux-aller-en-prison/ [eingesehen am 31. 03. 2014].

[6] Zit. nach Eric Albert, Dieudonné interdit de séjour en Angleterre, une décision „relativement rare“, in: Le Monde, 04. 02. 2014.

[7] Zit. nach Robert Belleret, Les dérapages d’un humoriste tenté par la politique, in: Le Monde, 20. 02. 2004.

[8] Zit. nach Henri Haget u. Gilles Médioni, Dieudonné, le comique qui dérape, in: L’Express, 19. 01. 2004.

[9] Zit. nach ebd.

[10] Thomas Hahn, Die Erfindung des um-gekehrten Hitlergrußes, in: Die Welt, 03. 01. 2014.

[11] Zit. nach Anne-Sophie Mercier, La vérité sur Dieudonné, Paris 2005, S. 15.

[12] Zit. nach ebd., S. 142.

[13] Zit. nach ebd., S. 61.

[14] Zit. ebd., S. 149.

[15] Zit. nach ebd., S. 33 u. S. 164.

[16] Zit. nach ebd., S. 99.

[17] Zit. nach Frédéric Potet, Manuel Valls veut interdire les spectacles de Dieudonné, in: Le Monde, 28. 12. 2013.

[18] Michaela Wiegel, Wider den Provokateur, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. 01. 2014.

[19] Zit. nach Mukuna, Dieudonné.

[20] Michel Wieviorka, Derrière l’affaire Dieudonné, l’essor d’un public „antisystème“, in: Le Monde, 01. 01. 2014.

[21] Zit. nach Abel Mestre u. Caroline Monnot, Face au juge, Dieudonné plaide „l’attentat humoristique“, in: Le Monde, 24. 09. 2009.

[22] Zit. nach Michel Briganti u. a., La galaxie Dieudonné. Pour en finir avec les impostures, Paris 2011, S. 36.

[23] Zit. nach o. V., Devant les juges, Dieudonné invoque le droit à l’humour, in: Le Monde. fr, 03. 02. 2011, URL: http://www.lemonde.fr/societe/article/2011/02/03/devant-les-juges-dieudonne-invoque-le-droit-a-l-humour_1474932_3224.html [eingesehen am 02. 04. 2014].

[24] Zit. nach Soren Seelow, Génération Dieudonné, in: Le Monde, 09. 01. 2014.

[25] Zit. nach Vincent Tremolet de Villers, „Nous sommes engagés dans un mouvement de profanation intégrale”, in: Le Figaro, 11. 01. 2014.

[26] Zit. nach Seelow, Génération.

[27] Zit. nach ebd.

[28] So beschreibt sich Guillaume selbst. Zit. nach ebd.

[29] Seelow, Génération.

[30] So Alain Finkielkraut. Zit. nach Tremolet de Villers, Nous sommes engagés.

[31] Zit. nach Soren Seelow, A Paris, Dieudonné rejoue une version de son spectacle tout en sous-entendus, in: Le Monde, 15. 01. 2014.

[32] Zit. nach o. V. (Kürzel: C. Zü.), Feu vert pour le nouveau show de Dieudonné à Nyon, in: Le Temps, 14. 01. 2014.

[33] Zit. nach Mercier, Dieudonné, S. 157.

[34] Zu seinen Unter-stützern zählte zum Beispiel Daniel Cohn-Bendit.

[35] Zit. nach Marie Quenet, Dieudonné, chronique d’un tête-à-queue politique, in: leJDD. fr, 11. 01. 2014, URL: http://www.lejdd.fr/Societe/%20Dieudonne-chronique-d-un-tete-a-queue-politique-647982 [eingesehen am 25. 03. 2014].

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 2-2014 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2014