Sattel(zeiten) Zäsuren am Anfang (und am Ende?) der Moderne

Von Daniel Fulda

Obwohl sich der Begriff »Sattelzeit« keineswegs von selbst erklärt, ist er bemerkenswert beliebt. Schließlich wurden in der Sattelzeit – gemeint ist: im Jahrhundert »um 1800« – laut Reinhart Koselleck die Fundamente der modernen Welt gelegt. Und nicht allein die Historikerkollegen des 2006 verstorbenen Koselleck sprechen ganz geläufig von der Sattelzeit, sondern auch Geisteswissenschaftler anderer Fächer.[1] Seit der Erfindung des Begriffs im Zuge der Arbeit an Kosellecks großem Lexikon »Geschichtliche Grundbegriffe« hat sich die Vorstellung einer makroepochalen Zäsur um 1800 weithin etabliert und ist nahezu ohne Widerspruch geblieben. Anlass zu Zweifeln gibt der Sattelzeitbegriff freilich durchaus. Das gilt nicht allein für die ebenso unklare Referenz wie begrenzte Auslegbarkeit der Sattelmetapher, sondern auch für die empirische Untermauerung der mit ihr verbundenen These.[2] Letzteres sei weiter unten zumindest punktuell dargelegt. Ebenso zu diskutieren sind die neuerdings vorgetragenen Anknüpfungen an Koselleck, die seiner Zäsurdiagnose für die Zeit um 1800 eine weitere für die Zeit »um 2000« hinzufügen. Wie überzeugend sind also die Zäsurdiagnosen Kosellecks auf der einen und die jener Autoren, die in unserer Gegenwart das Ende jener Moderne erkennen, deren Formationsphase er beschrieben hat, auf der anderen Seite?

ALS »ALLES ANDERS WURDE«[3]: DIE SATTELZEIT In der Sattelzeit berühren sich Alteuropa und Moderne und scheiden sich zugleich voneinander – so Kosellecks These, die den Beginn der »Neuzeit« von der Zeit um 1500 auf jene um 1800 verschob. Die Zentralbegriffe des politisch-sozialen Diskurses verloren damals ihre traditionellen Bedeutungen und gewannen neue – die sich als modern ausweisen, indem sie unserem Verständnis im Grundsatz entsprechen. Freiheit, Recht, Revolution, Volk oder Wirtschaft sind einige solcher in den »Geschichtlichen Grundbegriffen« untersuchten Begriffe. Analoges gilt, wie man ergänzen kann, für die dort nicht einschlägigen Begriffe Literatur und Kunst. [...]

[1] Vgl. Stefan Jordan, Die Sattelzeit. Transformation des Denkens oder revolutionärer Paradigmenwechsel?, in: Achim Landwehr (Hg.), Frühe Neue Zeiten. Zeitwissen zwischen Reformation und Revolution, Bielefeld 2012, S. 373–388, hier S. 373 mit Nachweisen.

[2] Ausführlicher dazu vgl. Daniel Fulda, Sattelzeit. Karriere und Problematik eines kulturwissenschaftlichen Zentralbegriffs, in: Elisabeth Décultot u. Daniel Fulda (Hg.), Sattelzeit. Historiographiegeschichtliche Revisionen, Berlin 2016, S. 1–16.

[3] Reinhart Koselleck u. Christoph Dipper, Begriffsgeschichte, Sozialgeschichte, begriffene Geschichte. Reinhart Koselleck im Gespräch mit Christoph Dipper, in: Neue Politische Literatur, Jg. 43 (1998), H. 2, S. 187–205, hier S. 195.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 1-2018 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2018